Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
das schon die gesprächsbeschließende Antwort gewesen wäre, schaufelt er sich noch mehr Erdbeeren in den Mund. Herr Müller setzt ziemlich oft voraus, dass alle Menschen genauso denken wie er, daher redet er auch selten viel, weil er glaubt, es sei eh alles gesagt.
Ich entscheide mich dafür, etwas ausführlicher zu antworten: »Also, wir dachten an eine Videobotschaft wie bei Schleyer. Sie, Herr Jauch, mit einer aktuellen Zeitung in der Hand, hätten erzählen sollen, dass Sie gut behandelt werden und das Lösegeld da und da um die und die Zeit übergeben werden soll und so weiter.«
»Und ich hätte die Off-Stimme gesprochen«, ergänzt Katja. Ich glaube, das ist der eigentliche Grund für ihre Unzufriedenheit mit den einfachen Abläufen.
»Soso«, sagt Herr Jauch. »Aber Sie können natürlich mit der Entführungs-Hotline telefonieren, wenn Sie das wollen, Katja.«
Augenblicklich hellt sich ihr Gesicht auf.
»O ja! Mit einem Tuch vor dem Mund!«
»Das brauchen Sie nicht mal. Die Gespräche werden nicht mitgeschnitten. Ich muss nur zwischendurch an den Apparat und was sagen, wegen der Stimmprobe, damit die wissen, dass sie nicht veräppelt werden.«
»Klingt vernünftig«, sagt Herr Müller. »Wann wollen wir das eigentlich machen, das mit dem Anruf?«
»Ich schlage vor, nach dem Frühstück«, sagt Herr Jauch.
Dienstag, nach dem Frühstück
»Das hier ist die direkte Durchwahl zur Entführungszentrale des Senders«, sagt Jauch und schiebt Katja ein kleines Kärtchen hin. Das Telefon liegt in unserer Mitte auf dem Küchentisch, der Lautsprecher ist eingeschaltet. Wir hören einen langen Tuuut-Ton, das Freizeichen. Katja tippt die Zahlenfolge ein.
»Ein bisschen aufgeregt bin ich ja schon«, sagt sie.
Wir haben alles bis ins kleinste Detail besprochen, schon gestern Abend. Zur Sicherheit liegt vor ihr ein Zettel, auf dem ich alles Wichtige in Stichpunkten notiert habe. Aus dem Telefonlautsprecher ertönt das Anruftuten. Einmal, zweimal, dreimal. Es knackt.
» Guten Tag, Sie sprechen mit der Entführungshotline. Im Moment sind alle Mitarbeiter im Gespräch. Der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert. Bitte haben Sie einen Moment Geduld.«
Skeptisch mustern Herr Müller und ich uns gegenseitig und dann Herrn Jauch, während das Band dazu übergeht, Wartemusik zu spielen, Marius Müller-Westernhagen mit Freiheit.
»Das kann mal vorkommen«, sagt Jauch, »es ist Hochsaison.«
Wir warten also. Genug Zeit, um unsere Nummer zurückzuverfolgen – wenn man nun misstrauisch wäre. Aber Herr Jauch hat uns jegliche Angst vor Verfolgung oder Konsequenzen genommen. Und er würde niemals lügen.
»Freihahahahaheit ist das Einzige, was zählt.«
»Ich glaub, ich rauch mal eine«, sage ich und sehe fragend in die Runde. Als ob ich ihr Einverständnis einholen müsste, hier, in meiner Küche, wo wir gestern Abend ungezügelt und dekadent zum Weingenuss geraucht haben. Herr Müller schließt sich an.
»Geben Sie mir doch auch eine«, sagt Herr Jauch. »Aber verraten Sie es keinem. Ich hatte gestern schon Lust, mal wieder eine zu pofen.«
Ich wundere mich gleichermaßen über die Wortwahl und das Anliegen und halte Herrn Jauch die geöffnete Schachtel entgegen. Er greift zu. Das Warteschleifenlied hat zwischenzeitlich wieder von vorne angefangen.
»Die Kapelle rumtata, und der Papst war auch schon da.«
Klack.
»Guten Tag, entschuldigen Sie bitte die Wartezeit. Willkommen bei der Entführungshotline, Sie sprechen mit Donna. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Donna? Kommt mir irgendwie bekannt vor. Etwa die unfreundliche Gästebetreuerin aus der Sendung? Günther Jauch jedenfalls wackelt freudig mit dem Kopf, ich interpretiere das als Erkennungsgeste.
Katja spricht mit ihrer Navi-Stimme: »Guten Tag. Wir haben Günther Jauch entführt.«
»In Ordnung«, sagt Donna, »einen kleinen Moment bitte, da muss ich in den Jauch-Ordner gehen.«
Wir hören sehr schnelles Mausgeklicke.
»Gut, da bin ich wieder. Können Sie mir Herrn Jauch kurz geben?«
»Ich bin schon da, Donna«, sagt Herr Jauch.
»Gut, Herr Jauch, Sie kennen ja das Prozedere. Sagen Sie bitte Ihren Erkennungssatz, auf drei, zwo, eins, jetzt.«
»Der Potsdamer Postkutscher putzt den Potsdamer Postkutschkasten.«
»Vielen Dank. Alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Ja, mir geht es gut. Sehr angenehme Entführer, aber das kenne ich ja gar nicht anders.«
»Das freut mich. Also zurück zur Logistik. Lösegeld. Wie viel darf es sein?«
»Drei
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