Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Blume im Mund.«
Ohne mit dem Kopf aus dem Schrank zurückzukehren, streckt er einen Bezug mit Jolly Jumper darauf heraus.
»Okay, aber wenn Sie den auffalten, werden Sie auch noch Lucky Luke neben dem Pferd entdecken. Also nicht erschrecken!«
Die Wahl ist getroffen, und wir machen uns ans Beziehen. Wir arbeiten effizient und reden wenig, ich finde das sehr angenehm. Irgendwie bin ich einfach glücklich.
Schließlich liegen Lucky Luke und Jolly Jumper auf dem Bett und grinsen uns mit Strohhalm und Blume im Mund an.
»Sehr schön«, sagt Herr Jauch. Ich zeige ihm das Badezimmer, frisch durchgelüftet, und bringe ihm noch eine Flasche Wasser, falls er in der Nacht Durst bekommt. Dann sagen wir uns Gute Nacht.
»Gute Nacht, Paul.«
»Gute Nacht, Herr Jauch.«
Ich knipse das Licht aus und gehe nach unten aufs Sofa.
Dienstag, 8.45
Zweiter Entführungstag. Ich wache auf, weil irgendetwas zerbrochen ist. Mit viel Krach. Glas wahrscheinlich. Direkt im Anschluss höre ich ein »Uiuiui«, das stark nach Günther Jauch klingt. Ich kämpfe mich aus dem durchgelegenen Sofa und gehe in Richtung der Ereignisse, in die Küche. Günther Jauch steht neben unserer zerbrochenen großen Glasschüssel und wirkt ratlos und wie auf der Suche.
»Was machen Sie denn da, Herr Jauch?«
»Belgische Waffeln.«
»Ach so.«
»Ich war schon im Garten und habe Erdbeeren gepflückt. Dann habe ich ein Waffeleisen gefunden und so gut wie alle Zutaten. Jetzt wollte ich den Teig anrühren. Wo haben Sie denn ein Kehrblech?«
»Ach lassen Sie mal, ich mach das schon. Sie sind ja unser Gast.«
»Das ist nett«, sagt er und setzt sich.
Ich hole das Kehrblech und den kleinen Besen unter der Spüle hervor und mache mich an die Arbeit.
»Haben Sie denn gut geschlafen?«, frage ich ihn.
Er antwortet eher indirekt.
»Ihre Leidenschaft für Comicfiguren beschränkt sich also nicht nur auf die Bettwäsche.«
»Hm?«, sage ich, komme aber sehr schnell drauf, was er meint. Ich trage Popeye-Boxershorts. Zum Schlafen trage ich immer nur Boxershorts. Im Winter auch ab und an ein T-Shirt. Wo wir aber grade beim Thema sind, spreche ich aus der Hocke auch Günther Jauch auf seine Kleidung an:
»Sind Sie nicht ein bisschen overdressed?«
Er trägt einen Anzug mit Hemd und Krawatte. Mir ist das erst gar nicht aufgefallen, da man ihn eben so kennt. Gestern war das erste Mal überhaupt, dass ich ihn ohne Anzug und Krawatte gesehen habe.
»Ich war der Meinung, ich sei auf dem Weg zu einer Preisverleihung, Sie erinnern sich? Da habe ich mir meine normalen Sachen eingepackt. Gut, sind wir ehrlich, meine Frau packt meine Koffer, und es waren nur Anzüge drin.«
Ich hätte auch gern eine Frau, die meine Koffer packt. Das sind sogar zwei Wünsche auf einmal. Erstens eine Frau und zweitens Koffer, die man packen muss, also irgendeinen Grund wegzufahren. Vielleicht ergibt sich das ja, wenn das Geld da ist. Gar kein so dummer Gedanke.
»Worüber denken Sie nach?«, fragt Günther Jauch. »Da im Eck ist noch eine Scherbe.«
»Über nichts«, sage ich. »Soll ich Ihnen was Bequemeres leihen?«
»Das hat keine Eile, ich bin ja dran gewöhnt. Später gern. Nach der Arbeit.«
»Welche Arbeit?«
»Wir sollten uns recht bald um die Lösegeldforderung kümmern. Sonst macht sich noch irgendjemand Sorgen um mich.«
Aus den Tiefen des Hauses heraus höre ich eine kichernde Katja und Holzdielengequietsche, das auf mindestens vier sich nähernde Füße schließen lässt.
»Guten Morgen, Herr Jauch«, sagt Katja, als sie, strahlend wie ein ganzer Atomreaktor, gefolgt von Herrn Müller die Küche betritt. Jetzt ist die ganze Herde im Stall, und aus der Überraschungseinzelaktion Frühstück wird eine Gruppenarbeit. Unter den Anweisungen von Günther Jauch, den wir zumindest dazu überreden konnten, die Krawatte auszuziehen und sich eine Schürze überzustreifen, produzieren wir feinste Belgische Waffeln.
Dienstag, beim Frühstück
»Ich finde es ja schon ein bisschen schade«, sagt Katja, während sie sich einen abenteuerlichen Berg Sahne und Erdbeeren auf eine Waffel häuft, »dass wir das nicht wie geplant machen mit der Lösegeldforderung. Das ist irgendwie alles so unpersönlich, wenn man nur anrufen muss. Total der abgebrühte Betrieb.«
Sie bläst sich geräuschvoll eine Haarsträhne aus dem Blickfeld, um ihren Unmut zu unterstreichen.
»Wie hatten Sie es denn ursprünglich geplant?«, fragt Herr Jauch beim Kauen.
»Klassisch«, sagt Herr Müller.
Als ob
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