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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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zurechtweisen. Er ist immerhin Gast bei uns.
    »Was fuchst Sie genau?«, frage ich.
    »Die Sache mit Stelter. Gut, meinetwegen haben sie dort grade Personalmangel in Köln, aber dass man da derart unflexibel ist. Nicht, dass es nicht schön wäre bei Ihnen, aber ich meine … Bernd Stelter! Das ist maximal seine dritte Entführung, und bei dem einen Mal war es seine Mutter. Dass der mir einfach vorgezogen wird …«
    Er schüttelt frustriert den Kopf. Dann entscheidet er anscheinend, die Trockenarbeit ganz einzustellen. Er wirft sich das Tuch über die Schulter, stützt sich mit der linken Hand gegen das Küchenregal und sagt: »Ich sag Ihnen mal was. Wissen Sie, was Bernd Stelter immer macht, wenn er sich in seiner Garderobe unbeobachtet fühlt? Er pupst! Bis zu einer Minute lang.«
    Herr Müller und ich starren uns fassungslos an, dann beginnen wir wie auf Kommando haltlos loszubrüllen. Herr Jauch kichert mit, weiß aber nicht hundertprozentig, warum. Wir haben einfach eine extrem gute Menschenkenntnis.
    Unsere Türklingel beendet die allgemeine Heiterkeit. Es ist augenblicklich ausgelacht.
    »Wer ist das wohl? Bernd Stelter?«, will Herr Jauch einen draufsetzen, aber mir ist eher abrupt unwohl.
    Wir kriegen nie Besuch. Wer soll denn extra zu uns gefahren kommen? Die einzige Ausnahme ist der Paketbote, der Herrn Müller alle paar Monate irgendwas bringt. Und selbst dann habe ich schon immer ein extrem schlechtes Gewissen, weil die Lage unseres Hofs einfach in keine Route ordentlich einzuplanen ist, ohne dass sie sich um eine Stunde verlängert. Ich lasse meine ebenfalls nicht sehr zahlreichen Bestellungen – zwei- bis dreimal im Jahr ein Buch, DVD -Boxen, einmal ein Besteckset aus der Zoll-Versteigerung – einfach an den Supermarkt liefern. Trotzdem bin es komischerweise immer ich, der zu Hause ist und die Tür öffnet, wenn ein Paket für Herrn Müller kommt. Ich bringe es nie übers Herz, die Boten, von denen man ja weiß, dass sie in Subunternehmen ausgenutzt und grottig bezahlt werden, ohne reichlich Trinkgeld oder wenigstens einen Teller warme Suppe wieder wegfahren zu lassen. Man glaubt es gar nicht, wie die sich alle auf die Suppe stürzen, wenn sie ihnen angeboten wird. Was ich schon alles von Paketboten beim Suppeessen vorgejammert bekommen habe … Kein schöner Beruf, wirklich nicht. In der Zalando-Werbung sind sie entschieden lebensfreudiger. In der Realität wollte die Hälfte von ihnen mal Künstler werden. Oder ist es eigentlich. Das sagen sie immer: »Eigentlich bin ich Künstler. Das ist nur eine Kurzzeitlösung mit dem Paketeausliefern. Trotzdem ein Drecksjob.«
    Jetzt wäre es allerdings die beste Lösung, wäre das an der Tür nur ein Paket und ein dazugehöriger verkannter Künstler, der gleich wieder weg ist.
    »Ich hab nix bestellt«, sagen Herr Müller und Katja unisono und vernichten meine Hoffnung.
    »Dann müssen wir Sie wohl verstecken, Herr Jauch«, sage ich.
    »Kein Problem. Sagen Sie mir einfach, wohin. Das Haus ist doch groß genug.«
    »Sie könnten sich schon mal das Gästezimmer ansehen«, schlägt Katja vor. »Das wollten wir später doch sowieso ausmisten.«
    Als ich Herrn Jauch den Weg zum Gästezimmer weise, klingelt es schon zum vierten Mal.
    »Es tut mit leid, Herr Jauch, da drin muss es furchtbar staubig sein.«
    »Wir haben doch alle im Sandkasten Dreck gefressen. Machen Sie sich mal keine Sorgen.«
    »Na ja«, sage ich und schiebe ihn mit schlechtem Gewissen in sein zukünftiges Gemach.
    »Verhalten Sie sich unauffällig«, sage ich, als ich die Tür schließe. Ein Satz, den ich schon immer mal sagen wollte, genauso wie: »Folgen Sie diesem Wagen!«
    Ich drehe mich um, nicke Katja zu, und zeitgleich mit dem sechsten Klingeln öffnet sie die Haustür. Der geheimnisvolle Klingelterrorist ist Annette. Wieso das denn? Sollte die nicht im Laden stehen?
    »Ein Wunder! Ich darf rein«, frohlockt sie zur Begrüßung. »Und Sie sind?«, schiebt sie nach und lächelt Katja entwaffnend offenherzig an.
    »Katja«, sagt Katja.
    »Ach ja, die Katja, die Freundin von Herrn Müller, nicht?«
    »Ja, ich rede auf der Arbeit über dich«, antworte ich, stellvertretend und Annettes Wissensstand erklärend. Ich bin jetzt bei den beiden angekommen und nehme das Gespräch in die Hand in der Hoffnung, es möge alsbald beendet sein.
    »Was gibt es denn, Annette? Probleme im Laden? Kann ich helfen?«
    »Nein, nein. Etienne ist ein Goldstück. Der kriegt das heute auch mal ganz alleine hin.

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