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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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schlägt sein Buch zu. Der Knall erschreckt mich, ich fahre zusammen.
    »Nun kriegen Sie sich mal wieder ein«, sagt Herr Jauch. »Ich habe uns schon Frühstück gemacht. Schöner Tag heute. Wir könnten draußen essen.«
    Donnerstag, 10.30
    Fast hätte ich Frau Rottenbauer wieder vergessen. Aber jetzt bin ich auf dem Weg zu ihr. Nicht über einen Waldweg, ich glaube, eine direkte Waldwegverbindung zu ihrem Haus gibt es gar nicht. Ich muss endlich diesen Traum vergessen. Mein Leben verläuft zur Zeit sowieso wie daherfantasiert, da kann ich nicht noch eine grenzwertige Affäre meiner Kunden gebrauchen. Nach dem Frühstück habe ich lange geduscht, weil ich mich immer noch irgendwie schmutzig gefühlt habe. Böses Gehirn! Wie kann so was passieren?
    Ich bin auf meiner Hausstrecke, meinem Arbeitsweg, werde einen Schlenker durchs Dorf machen und dann hoch zu Frau Rottenbauer fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Ich wette, sie hat überhaupt keine Doppelgarage. Hoffentlich geht es ihr gut. Sie war wirklich noch nie nicht im Laden, so weit ich zurückdenken kann. Sicher war sie früher auch so eine, die keinen Tag krank war, als sie damals vierzig Jahre lang im Büro gearbeitet hat. Jeden Tag pünktlich, immer loyal, keine Exzesse, hochgeschlossene Bluse, das Fräulein Rottenbauer, stets ein Lächeln für ihre Kollegen auf den Lippen und den Stenoblock griffbereit. Keine Ahnung, ob sie überhaupt mal in einem Büro gearbeitet hat, aber da kann ich sie mir einfach gut vorstellen. Geistige Arbeit steht ihr besser als das Überwachen der Produktion von Kartoffelsuppe in der Kartoffelsuppenfabrik, nur mal so als Beispiel.
    Günther Jauch ist jetzt allein zu Haus. Wir sind so weit, dass er keine Aufsicht mehr braucht. Eigentlich brauchte er die von der ersten Entführungsminute an nicht, als er verschnürt auf dem Sofa lag. Er ist ein Guter! Wusste ich schon immer. Ein wahres Geschenk!
    Ich habe ihn der Höflichkeit halber gefragt, ob ich ihm was aus dem Laden mitbringen soll. Er hat mir dann eine Einkaufsliste für seinen persönlichen Bedarf geschrieben. Essiggurken will er haben, ein paar bestimmte Zeitschriften, vakuumverpackte Erdnüsschen wie aus der Hotel-Minibar und Kartoffelsuppe. Wahrscheinlich habe ich deshalb eben an eine Kartoffelsuppenfabrik gedacht. Außerdem habe ich mir überlegt, die Suppe eventuell selbst zu machen. Kartoffeln gibt es im Laden, Annette hat sicher ein Rezept für mich im Kopf. Zur Not rufe ich meine Mutter an. Obwohl, das Internet tut es auch.
    Wie die Zeit verfliegt, wenn man in Gedanken ist. Ich biege in den Weg ein, wo Frau Rottenbauers Haus steht. Es ist das einzige Haus an diesem Weg. Was wohl zuerst da war? Haus oder Weg? Huhn oder Ei? Jedenfalls: Sie hat keine Doppelgarage. Allerdings einen Jägerzaun. Das könnte aber ein Zufallstreffer gewesen sein, jeder im Dorf hat einen Jägerzaun. Wer sich ein Haus baut, stellt sich einen Jägerzaun davor, so ist das hier Sitte. Und in eigenen Häusern wohnen sie alle. Mietwohnungen sind hier ziemlich exotisch.
    Ich parke parallel zum Zaun, gehe zur Haustür und klopfe vorsichtig. Nichts tut sich. Ich klopfe etwas härter. Nichts. Ich rufe »Frau Rottenbauer?« Nichts.
    Sollte ich mir Sorgen machen? Ich entdecke eine Klingel. Ich drücke drauf und lausche. Es ertönt kein simples Ding-Dong, nein, Frau Rottenbauer hat einen prächtigen Glockenklingelton, der mehrere Töne umfasst. Könnte das Läuten vom Big Ben sein. Und direkt danach: Eine Art Rumpeln, tief im Haus. Sie ist also da. Ich kann aufatmen, wenn auch unter Vorbehalt. Sollte sie nicht gleich zur Tür kommen, weil sie zum Beispiel bewegungsunfähig auf dem Boden liegt – in den eigenen vier Wänden passieren die meisten Unfälle –, werde ich wohl die Tür aufbrechen müssen. Oder doch lieber eines der Fenster, das geht womöglich schmerzfreier für mich und mithilfe eines Steins. Ich will mir ja nichts antun, ich will nur die arme Frau Rottenbauer retten.
    »Frau Rottenbauer?«, rufe ich wieder.
    Ich höre Schritte. Sie kommt auf mich zu, also auf die Tür. Direkt dahinter bleibt sie stehen, uns trennt nur noch Holz, aber das ist sehr massiv. Vielleicht späht sie aus Vorsicht durch den Spion? Wenn man alleine im Wald wohnt, ist Skepsis immer zu empfehlen.
    Sie hat aber gar keinen Spion, merke ich, als ich genauer hinsehe.
    »Wer ist da?«, ruft sie, ohne zu öffnen.
    »Paul Wildensorg«, antworte ich.
    »Paul aus dem Laden?«
    »Ja.«
    Sie schweigt.
    »Frau Rottenbauer?«
    »Es ist

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