Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
navigiere von der Mitte hinten aus mit und Katja klebt hinten links am Fenster und navigiert überhaupt nicht, obwohl es immer noch ihr Berufsziel ist.
»Na, Gott sei Dank«, sagt sie, »dass hinten rechts niemand sitzt. Das ist der gefährlichste Platz in einem Auto.«
Die Landschaft um uns herum hat sich in den letzten fünf Minuten nicht sehr verändert, Bäume in allen Richtungen, die Waldwege sind geschottert oder auch gar nicht befestigt, eigentlich sind sie für Wanderer gedacht, aber wir haben noch keinen Wanderer getroffen. Katja setzt ihre Ausführungen fort:
»Weil, wenn nämlich vor dem Auto was auftaucht, dann weicht der Fahrer eher auf seine Seite aus, um sich zu schützen, also prallt das Auto meistens rechts irgendwo auf, oder was anderes prallt rein. Und der Beifahrer hat ja immerhin einen Airbag. Aber der, der hinten rechts sitzen muss, der hat gar nichts.«
»Das halte ich eher für Populärwissenschaft«, sage ich vom eindeutig gefährlichsten Platz des Autos aus.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragt Herr Jauch.
»Wir fahren durch den Wald«, sagt Herr Müller. »So wie Sie es wollten. Also los, Brainstorming, wohin fahren wir denn? Paul?«
»Ja, ähm«, sage ich und glaube, auf einem Hochsitz einen Jäger zu erkennen. Ich drehe den Kopf, während wir an ihm vorbeifahren und starre so lange durch die Heckscheibe hin, bis ich mir sicher bin, dass es doch kein Jäger war. Vielleicht eine vergessene Jacke oder ein großer Greifvogel.
»Wir fahren jedenfalls Richtung Stadt«, sagt Herr Müller, »was an sich nicht schlecht ist, weil die Polizei grade weg von der Stadt in Richtung uns fährt.«
In Richtung uns , das ist ein schöner Ausdruck; wäre auch ein guter Slogan für irgendeine heilsbringende Sekte oder eine patriotische Partei. Kommen Sie in Richtung uns!
»Da vorne steht ein Reh«, sagt Herr Müller.
»Das ist kein Reh, das ist ein Hirsch«, sagt Herr Jauch.
»Wehe, du überfährst es … ihn!«, schreit Katja.
Herr Müller haut ein paarmal kräftig auf die Hupe, und schon hat sich das Problem Tier-auf-Strecke erledigt.
»Es war eindeutig ein Hirsch«, sagt Herr Jauch.
»Ich weiß, wo wir hinfahren können«, sage ich. »Frau Rottenbauer wohnt im Dorf ganz abseits, schon ein Stück in den Wald rein. Da sieht uns kein Hubschrauber, wir müssen nicht mal aus dem Wald rausfahren. Und es würde mich doch stark wundern, wenn sie mit ihrer gebrochenen Hüfte – oder was sie hat – schon wieder aus dem Krankenhaus zurück wäre.«
»Wie kommen wir da hin?«, fragt Herr Müller.
»Ich glaube, du musst einfach nur weiter geradeaus fahren, wir sind schon auf dem richtigen Weg.«
»Fantastisch«, sagt Herr Müller.
»Ich vermute, das da ist ein Rosenschwanzgimpel«, sagt Herr Jauch. Er hat unser Pläneschmieden wohl ausgeblendet und beobachtet Vögel. Später haben wir noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen. Ich bin noch lange nicht drüber weg, dass er uns vorgelogen hat, mit unserer ganzen Entführungssache könne so rein gar nichts schiefgehen. Was ist denn jetzt? Wir sind auf der Flucht und werden wahrscheinlich gleich ins Haus einer alten, gutmütigen Frau einbrechen, wo uns eigentlich nichts anderes übrig bleiben wird, als zu warten, bis sie uns dort aufspüren. Die Lage ist verdammt aussichtslos. Dass Frau Rottenbauer einen Geheimgang unter dem Haus hat, der uns ein paar Kilometer weit in irgendeines der nächsten Dörfer führt, wo wir unbemerkt aus der Kanalisation steigen, ein Taxi zum Flughafen nehmen und uns nach Brasilien absetzen können, ist zwar nicht ganz ausgeschlossen. Andererseits ist es vielleicht doch wahrscheinlicher, in der Männersauna dem Papst über den Weg zu laufen.
»Ist es das?«, fragt Herr Müller, begleitet von abruptem Gebremse.
Der Schotterweg beult sich zu einer Bucht, an die direkt ein Jägerzaun grenzt, hinter dem Frau Rottenbauers kleines Haus steht. Ich habe sie einmal nach Hause gefahren, als sie sich beim Aufstehen aus dem Stuhl den Knöchel verdreht hatte und damit nicht gleich zum Arzt gehen wollte. Allerdings bin ich nicht mit reingekommen.
»Das ist es«, sage ich und fühle mich direkt irgendwie kriminell. Das ist das Zielobjekt, denke ich noch nachträglich. Vor meinen Augen wird es grün, und ein Fadenkreuz erscheint. Herr Müller parkt parallel zum Zaun, wir bleiben sitzen und betrachten das Zielobjekt.
Rechts neben dem Jägerzaun ist eine frei stehende Doppelgarage. Die ist mir damals gar nicht aufgefallen. Wozu braucht
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