Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Frau Rottenbauer eine Doppelgarage? Sie hat weder ein Auto noch einen Mann zu Hause, der darin Regale für sie bauen kann.
»Ich schau mal nach, ob die Garage auf ist«, sagt Herr Jauch, gurtet sich ab, manövriert sich ungelenk aus dem Wagen und stakst auf die Garage zu. Er rüttelt an dem Knopf und versucht, ihn in alle Richtungen zu drehen und daran zu ziehen. Nichts. Am anderen Tor das gleiche Spiel. Er dreht sich zu uns um und hebt die Arme, um uns zu signalisieren, dass seine Bemühungen erfolglos waren.
»Lassen Sie die Hände gleich oben«, ruft jemand hinter ihm. »Schön oben lassen.«
Herr Müller drückt vor lauter Schreck auf die Autohupe, ich stoße mir den Kopf am Wagendach an. Katja kreischt hochfrequentig. Es knallt sehr laut.
»Ruhe auf den billigen Plätzen«, sagt der Mann mit der Flinte im Anschlag, der langsam zwischen Haus und Garage auf Günther Jauch zugeht. »Das war ein Warnschuss. Der nächste geht ins Ziel.«
Es ist Herr Dr. Fischer. Der alte Kommunist.
»Nicht schießen«, sagt Herr Jauch und dreht sich um.
Was hat Dr. Fischer in Frau Rottenbauers Haus zu suchen? Er und Günther Jauch starren sich nun direkt an, und auf einmal lässt Dr. Fischer die Flinte sinken.
»Günther?«, sagt er.
»Thomas?«, sagt Günther Jauch.
Wir Zuschauer im Auto lernen erstens, dass Dr. Fischer mit Vornamen Thomas heißt und dass er und Günther Jauch sich offenbar kennen. Er scheint wirklich nur Thomasse zu duzen.
»Wir haben uns ja seit München nicht mehr gesehen«, ruft Günther Jauch freudig.
»Ha, das waren Zeiten«, sagt Dr. Thomas Fischer.
Sie fallen sich in die Arme und klopfen sich gegenseitig auf den Rücken. Das Rohr der Flinte zeigt dabei beängstigend geradlinig in Richtung unseres faradayschen Käfigs, der uns zwar vor dem gemeinen Blitz, aber nur bedingt vor Schrotmunition schützen kann, sofern sie durch die geöffneten Fenster hereinzischt.
Herr Müller, Katja und ich nehmen die Entspannung der Situation, die neue Zärtlichkeit, daher zum Anstoß, schnellstens das Auto und die Schussbahn zu verlassen.
»Paul«, sagt Dr. Thomas Fischer überrascht, »Sie auch hier?«
Das Auto steht sicher in der Garage, die Flinte sicher im Schirmständer, und Dr. Fischer reicht Marmorkuchen zum Kaffee.
»Das mit Ursula und mir muss nicht an die große Glocke gehängt werden, Paul, das verstehen Sie doch?«, sagt er und meint seine Liaison mit Frau Rottenbauer, die nach meiner Einschätzung mindestens dreißig Jahre älter ist als er. Er ist sozusagen ihr Lustknabe, in seinen mittleren Fünfzigern.
»Ich bin nicht Frau Oberhaid«, sage ich, »bei mir sind Ihre Geheimnisse gut aufgehoben. Aber überrascht bin ich doch ein wenig.«
»Das glaube ich!«, stößt er aus. »Ich war auch überrascht. Aber jetzt ist es nun mal so. Ursula und ich haben uns gefunden, ohne uns gesucht zu haben, so spielt das Leben.«
»Wir werden grade gesucht, aber hoffentlich nicht gefunden«, wirft Herr Jauch ein.
»Das Haus hat einen Schutzbunker«, sagt Herr Dr. Fischer. »Da könnt ihr gut und gerne ein Jahr lang drinbleiben. Konserven gibt es genug.«
Ich hoffe, dass unser Aufenthalt hier doch etwas schneller vorübergeht.
Der Aufklärungsbedarf, der auf beiden Seiten bestand, wurde schnell befriedigt. Herr Dr. Fischer und Herr Jauch haben zusammen die Journalistenschule in München besucht und sind einige bis viele Male gemeinsam durchs Glockenbachviertel gezogen, das damals noch gar nicht hip und von der Gay Community besetzt war – was es wahrscheinlich später erst so hip gemacht hat. Seitdem haben sie sich nicht mehr gesehen, außer Dr. Fischer Herrn Jauch ein paarmal im Fernsehen, bis wir auf die Idee gekommen sind, ihn zu entführen.
»Passend zum Wiedersehen einen Kaffee mit Schuss?«, fragt Dr. Fischer und zaubert einen Flachmann unter dem Sofakissen hervor. Herr Jauch hebt ihm seine Tasse entgegen. Gerade als Herr Dr. Fischer eine Einschenkbewegung vollführen will, höre ich von draußen ein neuerdings bekanntes Geräusch wieder anschwellen. Der Hubschrauber ist zurück. Nicht nur ich bekomme es mit.
Wir erstarren.
Eigenartig. Tatsächlich bleiben wir alle wie angeklebt sitzen. Eigentlich sollten wir sofort in den Schutzbunker und dort bis Silvester Leberwurst essen. Aber nicht mal ich kann mich rühren. Es ist, als wären wir eingefroren und warteten darauf, dass jemand schnipst und uns wieder bewegungsfähig macht. Herr Jauch senkt nicht mal seine Tasse, Dr. Fischer hält den Flachmann in
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