Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
habe ich sie später angesprochen.«
»So war das«, bestätigt Frau Rottenbauer und rubbelt Heidi Klum freudig über den nackten Oberarm. Sie wirken wirklich sehr vertraut.
»Huch, der Kuchen ist fertig«, sagt Frau Rottenbauer und schiebt ihren Stuhl nach hinten.
»Lassen Sie mal, ich hole ihn für Sie raus«, sage ich und stehe auf. Ich spiele das Spiel mit. Ich bin immer zuvorkommend, wenn ich sonst mit Frau Rottenbauer in Kontakt bin, warum sollte ich jetzt damit aufhören?
»Nehmen Sie das Handtuch da an der Wand, Paul, sonst verbrennen Sie sich die Hände«, sagt sie.
Sie ist sonst auch immer höflich zu mir, außer wenn ich nicht auf die Sekunde genau aufschließe, sobald die Turmuhr acht schlägt.
Heidi Klum folgt den Vorgängen interessiert. Vielleicht achtet sie auf meine Gangart, während ich zum Backofen gehe. Ich glaube, ich habe einen guten Walk.
Der Kuchen steht auf dem Fensterbrett und kühlt ab, Frau Rottenbauer rührt die Vanillesoße in einem kleinen Topf an. Ich schlürfe Kaffee. Es ist viel Kaffee da, die Kanne scheint keinen Boden zu haben.
»Heute lassen wir es uns richtig gut gehen«, sagt Heidi. »Ich esse bestimmt zwei Stück, Ursula.« Dann macht sie Mjam-mjam-mjam und lacht wieder, lacht über jedes Maß hinaus und hält sich das Brustbein mit der gespreizten linken Hand, damit es nicht auseinanderfällt. Ihre Erdung lässt auf sich warten, vielleicht braucht sie noch ein paar Tage. Wer weiß, wie lange sie hierbleibt, wird schon werden. Ein Nebeneffekt ihrer Unbeherrschtheit ist, dass es mir so langsam in den Ohren wehtut. Ich habe normalerweise keine Ohrenprobleme, aber wenn ein paar Zentimeter neben einem eine Rakete startet, dann kann das schon aufs Trommelfell gehen. Viel leiser ist die Klum-Lache nicht. Jedes Mal zieht es mir höllisch im Ohr, wenn sie loslegt. Frau Rottenbauer für ihren Teil lässt sich nichts anmerken und rührt abgeklärt in ihrer Soße, vielleicht hat sie auf einer Seite ihr Hörgerät abgeschaltet. So was bräuchte ich auch. Und da ich nun mal keine Hörhilfe habe, die man einfach abdrehen kann, müsste es etwas sein, das die Hörfähigkeit reduziert.
»Frau Rottenbauer, dürfte ich eben die Gästetoilette …«, frage ich mit aller angelernten Höflichkeit. Sätze zu beenden, verlangt Knigge bei einer solchen Frage nicht, denke ich.
»Gibt es nicht«, sagt Frau Rottenbauer und rührt ungerührt weiter.
»Es gibt nur eine Toilette im Haus. Im Badezimmer«, flüstert Heidi Klum mir zu, als ob es was Unanständiges wäre. »Erste Tür rechts, draußen im Korridor.«
»Danke«, flüstere ich zurück und setze mich in Bewegung.
»Der Sitz bleibt aber unten«, ruft Frau Rottenbauer mir hinterher. Das wäre nicht nötig gewesen. Ich weiß, was sich gehört.
Tatsächlich drücken mir die Unmengen an Kaffee auf die Blase, wie praktisch. Eigentlich bin ich ja nur auf der Suche nach Ohropax. Sollte Frau Rottenbauer keines haben, werde ich mir aus Klopapier ein kleines Kügelchen rollen und es unauffällig im Heidi zugewandten Ohr versenken. Mein Geschäft ist erledigt, im Sitzen, brav. Um kein Misstrauen zu erregen, werde ich aber erst später spülen. Neuerdings bin ich in Vertuschungsaktionen ganz geübt. Ich wasche mir die Hände, zupfe mir ein wenig die Haare zurecht – das mache ich sonst nie, aber immerhin sitzt da Heidi Klum am Küchentisch – und sehe mich um. Die Toilette hat einen hellblauen Puschelbezug, farblich abgestimmt auf den flauschigen Teppich unter meinen Füßen. Alles sehr sauber. Nicht nur sauber, sondern rein. Frau Rottenbauer ist eine ordentliche Person, sicher sieht es hier auch dann so aus, wenn sie keine »Feriengäste« beherbergt. Es steht überhaupt nichts in der Gegend herum. Irgendwo muss sie doch ihre Beautyutensilien versteckt haben. Ich prüfe, ob der Spiegel mit meinem Gesicht darin vielleicht ein Spiegelschrank ist. Bingo, ist er. Ich klappe die beiden Türchen auf. Ja, da steht so einiges. Und von innen ist der Schrank wirklich abenteuerlich dekoriert. Frau Rottenbauer scheint eine große Autogrammjägerin zu sein. Ich zähle auf die Schnelle nicht weniger als zwanzig Autogrammkarten, die an den Türinnenseiten und an der Rückwand hinter Zahnputzbecher, Rollbürste, Nivea-Creme et cetera kleben. Roberto Blanco hängt da, Jean Pütz, Nana Mouskouri, Heidi Klum natürlich und sogar Joko und Klaas. Woher Frau Rottenbauer wohl die Zeit dafür nimmt? Eigentlich bin ich über ihr Leben doch recht gut informiert.
Leider
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