Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
dass Heidi Klum hier ihren Urlaub genießt.
»Heidi«, sage ich, denn wir sind mittlerweile per Du, bei ihr geht das einfacher als bei Herrn Jauch, »wenn du hier Urlaub machst, wieso lässt du dich eigentlich nie im Ort blicken? Das Wochenblättchen würde sich sicher für dich interessieren.«
»Eben«, sagt Heidi Klum. »Paul, weißt du, sonst bin ich in New York, L.A., Paris, Mailand, Madrid, Buenos Aires, immer auf Achse, immer First Class, immer Leute um mich herum, immer Kameras, immer lächeln. Mir tut es wirklich gut, Ursula einmal im Jahr zu besuchen und einfach hier bei ihr auszuspannen. Sie ist mein Ruhepol. Und hinter dem Haus ist ein großer Garten. Da kann ich mich in die Sonne legen und relaxen. Wenn ich will, sogar …«, sie tut so, als würde sie sich nach potenziellen Mithörern umschauen, »… nackt.«
Und jetzt lacht sie. Nicht so, wie Frau Rottenbauer oder ich lachen würden, sondern eher so, als stünde sie auf einer Bühne vor fünftausend Leuten, von denen auch diejenigen, die grade auf dem Klo sind, mitkriegen sollen, dass sie ausgesprochen guter Stimmung ist. Ein Prominentenlachen eben. Sie wirft dabei die Arme seitlich von sich und den Kopf nach hinten.
»Das erdet«, sagt sie schließlich in ernstem Ton, wie ich es sonst auch nur aus Talkshows im Fernsehen kenne.
»Das erdet« sagt außer Leuten aus dem Showgeschäft wirklich niemand. Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass jemand im Ort schon mal »das erdet« gesagt hätte. Höchstens vielleicht Herr Kürnach, der Bestatter. Das erdet.
»Du bist nicht zum ersten Mal hier?«, frage ich Heidi, weil sie behauptet hat, sie würde Frau Rottenbauer einmal im Jahr besuchen.
Sie wirkt überrascht von der Frage und kann nicht direkt eine Antwort geben. Erwischt. Frau Rottenbauer versucht auszuhelfen: »Heidi ist schon zum dritten Mal mein Gast. Sie werden verstehen, Paul, dass ich das nicht herumerzählt habe. Sie sind ja selbst als Erstes auf das Wochenblättchen gekommen. Wenn die das rauskriegen, stehen nicht nur die, sondern am nächsten Tag auch das Fernsehen vor der Tür. Das möchte doch keiner.«
Nein, du Gangsterbraut, denke ich, natürlich möchte keiner, dass jemand deine Geisel zu Gesicht bekommt. Ich betrachte sie nachdenklich. Jahrelang habe ich mich in Frau Rottenbauer getäuscht. Immer hat sie auf brave Omi gemacht, stand mit ihrem Klappstühlchen vor der Tür, als könnte sie kein Wässerchen trüben, saß genau vor meiner Nase, lesend, den ganzen Tag, in meinem Laden. Sie schrie geradezu die ganze Zeit: »Ich bin unverdächtig!«
Dabei ist sie ein durchtriebenes kriminelles Element und hält Heidi Klum schon zum wiederholten Mal hier fest. Wer weiß, wen sie noch alles verschleppt hat? Kai Pflaume? Barbara Schöneberger? Anne Will? Günther Jauch? Gut, den vielleicht nicht.
Ich möchte gar nicht so böse über Frau Rottenbauer denken, aber solange sie noch ein Geheimnis aus ihrem Geheimnis macht, kann ich nicht anders. Es ist offensichtlich, sie hat Heidi Klum entführt. Eine sanfte Entführung, exakt unser Konzept. Sie backen zusammen Apfelkuchen. Sie wollte Heidi vor mir versteckt halten und hat deshalb diesen Terz an der Haustür veranstaltet. Eigentlich sind wir Brüder, nein, Schwestern, nein, Geschwister im Geiste, im Entführungsgeiste, aber bevor sie das nicht zugegeben hat, muss ich sie verurteilen. Noch bin ich moralisch überlegen. Das Geniale an der Sache ist, das muss man ihr zugestehen, dass man es ihr noch viel weniger zutraut als mir, und mir traut man generell schon mal überhaupt nichts zu, außer Barcodes über einen Scanner zu ziehen.
»Und wo haben Sie sich kennengelernt?«, frage ich Frau Rottenbauer scheinheilig.
»In Paris«, antwortet sie sofort.
Die alte Frau ist gut. Sie hat sich eine Backstory überlegt.
»Ach übrigens, Paul.« Und jetzt will sie mich ablenken, indem sie auf ein anderes Thema überleitet. Sie ist so geschickt. »Ich habe vor ein paar Wochen eine Tasche im Laden liegen lassen, da stand auch Paris drauf, in fünf großen Buchstaben, in bunt. Haben Sie die vielleicht gefunden?«
»Ich glaube nicht, aber ich kann mal im Lager nachsehen. Womöglich hat Annette sie weggeräumt. Aber nun erzählen Sie doch mal Ihre Kennenlerngeschichte, das muss doch aufregend gewesen sein. Oder?«
»Fashion Week«, wirft Heidi Klum wie selbstverständlich ein. »Ursula hat zugesehen, ich bin gelaufen. Sie kam mir gleich so deutsch vor und hat mich an meine Großmutter erinnert, da
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