Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
und den Ankommenden an der S-Bahn für eine Mark die Koffer getragen habe? Wussten Sie, dass es in Bergisch Gladbach nur eine Endstation der S-Bahn aus Köln gibt? Das ist nicht einfach, wenn man zum Shooting nach Tokio muss.«
Das finde ich nun wirklich unangebracht. Ich lasse die Katze, ach was, den Tiger, den Supertiger aus dem Sack, und Heidi Klum erzählt von Bergisch Gladbach.
»Schau einer an«, sagt Frau Rottenbauer, Heidis Erzählung ignorierend, und streicht bedächtig die Tischdecke vor sich glatt.
»Den Herrn Jauch also. Ich habe mich schon gefragt, wen Sie sich ausgesucht haben. Liegt das nicht ein bisschen nah, Paul, ausgerechnet Günther Jauch? Bei Ihrer gemeinsamen Vergangenheit? Sie hätten auch Ulrich Wickert nehmen können. Oder Til Schweiger. Der fällt vermutlich auch auf einen ausgedachten Filmpreis rein und steht am nächsten Tag vor der Tür, um ihn sich abzuholen.«
Til Schweiger hing, glaube ich, nicht im Schrank. Oder er war auf einer der Karten hinter der großen Flasche mit der Feuchtigkeitsmilch, die wollte ich nicht zur Seite räumen.
Aber wie wichtig ist Til Schweiger im Vergleich zu der Information, dass Frau Rottenbauer auch über unsere Entführung Bescheid zu wissen scheint?
»Woher … Wie … äh?«, stammle ich.
»Jetzt essen wir erst mal Apfelkuchen und bereden alles«, sagt Frau Rottenbauer ruhig. »Vielleicht kann ich Ihnen ja noch ein paar Tipps geben.«
Der Apfelkuchen mit Vanillesoße ist wirklich gut. Genau wie Frau Rottenbauer. Sie versteht ihr Handwerk. Ihre Ohren sind quasi überall, mit oder ohne Hörgerät. Ich hätte tatsächlich nicht gedacht, dass es …
»… reichlich auffällig war, wie Sie sich plötzlich Tag für Tag im Hexenbesen getroffen haben, Paul. Glauben Sie denn, ich sitze nur bei Ihnen im Supermarkt herum und bekomme sonst nichts mit von der Welt? Ich habe meine Informanten. Natürlich war mir gleich klar, dass Sie auch ins Geschäft einsteigen wollen. Ich war mir nur nicht so ganz sicher, welchen Sockenträger des Jahres Sie anlocken wollten.«
»Strumpfträger des Jahres«, berichtige ich sie.
»Wie auch immer. Der Herr Jauch also. Den hatte ich noch nicht. Würde ihn gern mal kennenlernen.«
»Dafür stehen die Chancen im Moment besser als je zuvor«, sage ich.
»War das eine Einladung?«, mischt sich Heidi ein. »Ich werde gerne eingeladen. Gibt es Häppchen? Ich esse mindestens zwei!«
Sie lacht befreit auf, ich wende den Kopf ab.
Donnerstag, 16.00
»Du verarschst mich grade massiv, oder?«, fragt Herr Müller und hört auf zu kauen. Er hält eine halb verzehrte Scheibe Brot mit je einer Schicht Leberwurst und Senf in der Hand. Der Bissrand erinnert aus meiner Perspektive an eine Drei, Herr Müller nimmt immer große Bissen. Ein Stück Essiggurke gleitet langsam von der Scheibe herunter, da sich Herrn Müllers Aufmerksamkeit von der Nahrungsaufnahme weg auf mich gerichtet hat.
»Heidi Klum wohnt bei der alten Rottenbauer?«
»Sie wohnt da nicht, sie wurde von ihr entführt. Wo ist eigentlich Herr Jauch?«
»Der liegt in der Badewanne. Die Rottenbauer macht also das Gleiche wie wir?«
Sein Tonfall ist so ungläubig wie nur möglich, fast ein bisschen theatralisch.
»Sie macht das schon ein bisschen länger. Sie hatte sogar mal Dieter Thomas Heck bei sich zu Hause.«
»Wer ist das?«, fragt Katja, die in diesem Moment die Küche betritt, gewandet in einen Frotteebademantel mit meinen Initialen und mit feuchtem Haar.
»Ist hier heute eigentlich Badetag?«, frage ich.
»Ja«, sagt Katja, »ich habe vorhin in der Stadt ein wasserfestes Radio gekauft, das wie ein kleines Boot aussieht. Also genau genommen ist es ein kleines Boot mit Radio drin. Und Herr Jauch wollte auch gleich damit spielen, als er davon erfahren hat. Gibt es sonst was Neues?«
Während ich noch einmal von vorne und in aller Ausführlichkeit berichte, werde ich nur ab und an durch Katjas Einschübe, abwechselnd »Die Klum, echt?« und »Wer ist das?« unterbrochen. Nun sind alle auf dem neuesten Stand, und eigentlich gibt es keinen Grund, sonderlich überrascht zu sein. Günther Jauch liegt bei uns in der Badewanne. Wir wissen, dass Entführungen ebenso zum Showgeschäft gehören wie Obstschalen und Wodka im Backstagebereich. Dass es so nahe bei uns noch einen anderen entführten Promi gibt, ist schon ein kleiner Zufall, aber es ist Sommerpause, und das bedeutet Hochsaison, wie wir gelernt haben: Zurzeit sind mindestens hundert Prominente entführt.
Weitere Kostenlose Bücher