Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
entdecke ich auf den ersten Blick kein Ohropax. Doof. Ich klappe das Schränkchen wieder zu. Wohl etwas zu schwungvoll. Eine der Karten löst sich, rutscht heraus und segelt nach unten. Bevor sie im nassen Waschbecken landen kann, greife ich geistesgegenwärtig in die Luft und erwische sie. Reaktionsschnelle, eine meiner größten Soft Skills. Bei Fliegen kann ich das auch ganz gut.
Jetzt halte ich die Flippers in der Hand, die übertrieben fröhlich sich gegenseitig und der Kamera zugrinsen, überschrieben mit erstaunlich viel Text, handschriftlich mit Edding. Es ist schwierig zu entziffern. Als ich es schließlich schaffe, bin ich einigermaßen baff. Da steht:
Liebe Ursula,
einen neuen Tisch schicken wir dir per Boten zu.
Entschuldige die Ausschweifungen. Wir feiern eben gerne,
wenn wir ohne unsere Frauen unterwegs sind.
Es war sehr schön bei dir!
Let’s Rock!
XXX
Die Flippers
Die Flippers waren hier und haben im Partyrausch Frau Rottenbauers Tisch zertrümmert? Warum? Es kann ja wohl nicht sein, dass … Mir läuft es kalt über den Rücken. Ich öffne das Schränkchen wieder und betrachte die Karten mit ganz neuem Blick: Tatsächlich steht auf allen mehr als nur eine Unterschrift. Alle sind sehr persönlich. Kostprobe?
Dear Ursel,
you will always be my favourite Bond-Girl.
I really loved your apple pie.
Sincerely,
Sir Roger Moore
Roger Moore hat hier Apfelkuchen gegessen?! Denselben, nein, den gleichen, also eine Art ziemlich ähnlichen Apfelkuchen, wie ich ihn eben aus dem Ofen geholt habe? Das haut mich jetzt doch ein bisschen um. Woher kennt sie alle, die sich hier verewigt haben? Mir fällt nur eine einleuchtende Erklärung ein: Sie muss sie alle entführt haben! Es gibt wenige Alternativen. Oder doch? Vielleicht ist Frau Rottenbauer ja einfach ein Promiluder. Vielleicht war sie früher selbst ein Star, auf den Bühnen Berlins oder sogar in Hollywood. Sie könnte ihren Namen geändert haben. Sie sieht nicht so aus, als hätte sie früher nicht gut ausgesehen. Und sie pflegt sich noch immer. Ist alles möglich. Allerdings:
Hochverehrte Ursula,
unser kleines Entführungsspielchen war mir eine innere Hitparade!!!
Auf bald,
der Dieter, der Thomas, der Heck
Erwischt. Da haben wir den Beweis. Frau Rottenbauer ist ein Promi-Entführungs-Schwergewicht. Seit Jahrzehnten verkehren sie alle hier im Waldhaus. Das ist ja … Dagegen sind wir ziemlich kleine Fische. Einmal Günther Jauch, was zählt das schon?
Was soll ich denn jetzt tun? Sie auffliegen lassen? Mich ihr als Kollege offenbaren? Nun, es lässt sich über alles reden, denke ich. Vielleicht hat sie noch ein paar Tipps für mich, immerhin hat sie viel mehr Lebens- und vor allem Berufserfahrung, wie es scheint.
Ich betätige die Klospülung und gehe wieder in die Küche. Es wird sich schon alles ergeben, wir sind ja erwachsene Menschen. Ich werde noch etwas Zeit verstreichen lassen und das Thema dann einfach beim Kuchenessen ansprechen, ganz rational und direkt heraus, niemand muss sich für seine Taten schämen.
Als ich Platz nehme, bedauere ich, nicht mehr an das Ohropax oder einen adäquaten Ersatz gedacht zu haben. Heidi Klum lacht ausgelassen über irgendetwas, das sie gesagt hat, bevor ich zurückgekommen bin.
»Das hat aber lange gedauert, Paul«, heißt mich Frau Rottenbauer willkommen. Inzwischen sitzt sie wieder am Tisch. »Haben Sie Verdauungsprobleme? Ich habe da ein paar Mittelchen.«
»Ich halte zu Hause Günther Jauch gefangen«, antworte ich.
Na super, das hat ja lange gedauert mich dem Dichthalten.
»Und ich weiß, dass Sie auch entführt sind, Frau Klum, äh, du, Heidi, dass du auch entführt bist. Und all die anderen vor dir, also vor ihr«, in mir brennt es vor plötzlichem Adrenalinstrom, und ich schaue sehr schnell zwischen Heidi Klum und Frau Rottenbauer hin und her, »vor ihr. Ich habe die Karte von Dieter Thomas Heck gesehen. Ich weiß alles, Frau Rottenbauer.«
Frau Rottenbauers Gesichtsausdruck ist unverändert. Wenn sie in der letzten Sekunde gestorben wäre, hätte es auch keinen Unterschied gemacht, rein optisch.
»Wirklich? Günther Jauch? Das ist ja aufregend!«, fährt mir Heidi Klum in die Parade. »Wissen Sie, ich bin bald bei ihm in der Sendung, im Promi-Special nach der Sommerpause. Ich bin schon ganz aufgeregt. Wer hätte das gedacht, dass ich mal im Promi-Special von Wer wird Millionär sitzen werde, damals, als ich als kleines Mädchen mit meinen Zöpfen durch Bergisch Gladbach gehopst bin
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