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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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begrüßt sie mit tiefer Verbeugung und Handkuss, das Banner ist vergessen. Frau Rottenbauer scheint das zu gefallen.
    »Sie sind ein wahrer Gentleman, Herr Jauch. Und ich weiß, wovon ich rede, damit kenne ich mich aus.«
    »Das hier ist ein halber Apfelkuchen, damit kenne ich mich aus«, sagt Herr Müller trocken, als er sich an den beiden vorbei als Erster nach drinnen schiebt. Er trägt ein Paket aus Alufolie in der Hand. Wir folgen ihm, ich als Letzter schließe die Tür. Heidi Klum und Katja lachen herzhaft.
    Donnerstag, 22.30
    Das glaubt mir niemand. Ich kann das nicht weitererzählen. Es ist ein so unendlich kostbares Wissen, und es kam so unerwartet zu mir. Es ist, als würde man das Bernsteinzimmer bei sich zu Hause auf dem Speicher finden. Sogar Heidi Klum hat den Mund gehalten, bei Günther Jauch stand er die ganze Zeit offen, und auch wir anderen, die Bauernhofmenschen, waren einfach nur baff. Denn Frau Rottenbauer hat »ein paar Anekdötchen« rausgelassen. Als wir sie gesättigt hatten – mit anderthalb Steaks und ein bisschen Gurkensalat war das ganz leicht –, hat sie sich in ihrem Klappstuhl zurückgelehnt und angefangen zu erzählen. Und was sie erzählt hat! Ich werde das in einer kleinen Schatztruhe direkt mittig in meinem Gehirn platzieren und den Schlüssel wegwerfen. Ich dachte immer, Herr Jauch wäre der aufregendste Mensch, dem ich je begegnet bin. Jetzt stellt sich heraus, dass die absolut Größte von allen jahrelang Heftchen lesend bei mir im Laden herumgehockt ist. Frau Rottenbauer hatte sie alle, so kann man das wohl prägnant zusammenfassen. Die paar Autogramme in ihrem Spiegelschrank – lediglich eine mickrige Zufallsauswahl aus der zweiten Reihe. Man könnte »Stars und Sternchen des zwanzigsten Jahrhunderts« googeln und es mit Frau Rottenbauers Gästebuch vergleichen. Es wäre so ziemlich dieselbe Liste.
    Sie hat das alles hauptberuflich betrieben, ihr Leben lang, und – jetzt kommt’s, ich übertreibe nicht – sie hat es überhaupt erst erfunden! Frau Rottenbauer ist die Patin der weltweiten Promi-Entführungsindustrie. Established since 1951. Frau Rottenbauer ist meine Patin.
    Ist das nicht ein unglaublicher Zufall, dass wir einfach so selbst auf diese absurde Idee gekommen sind, ohne Vorwissen? Auf diese Idee, die uns zunächst so aus der Luft gegriffen schien, und die Grande-Kidnapping-Dame wohnt nur fünfundzwanzig Kilometer Luftlinie von uns entfernt? Dass wir …
    Wir?
    Wenn in den amerikanischen Serien, die ich mir so gerne ansehe, jemand in gemütlicher Runde unter vielen Menschen sitzt und es auf ein Hintergrundgespräch mit einer bestimmten anderen Person abgesehen hat, dann heißt es meistens: »Ich muss mal dringend in die Küche, nach dem Truthahn/dem Pudding/der Funktionstüchtigkeit des Feuerlöschers sehen, kannst du bitte mitkommen und mir dabei helfen, Vater/Nachbarskind/verhasste Angetraute meines Ex-Mannes, die es nur auf sein Geld und meine Alimente abgesehen hat?« Dann gehen sie in die Küche und regeln ihr Problem auf vernünftige Weise, oder aber derjenige hat gewonnen, der näher am Messerblock steht. Problem für mich: Das Küchenfenster öffnet sich direkt zur Terrasse und steht offen, die vertrauliche Zone ist also nur gut zwei Meter entfernt, sehr hellhörig und in diesem Sinne gar keine vertrauliche Zone. Ich manage die Sache also einfach ganz elegant, indem ich eine andere Sache mit einbeziehe und sage: »Ach, Herr Jauch. Halten Sie sich doch bitte mal für einen Moment die Ohren zu. Es geht um eine Überraschung.« Er ist guter Laune, zuckt die Schultern und folgt meiner Bitte. Heidi Klum kichert. Flüsternd fahre ich fort: »Herr Müller, lass uns mal das Etwas holen gehen, das wir Herrn Jauch noch geben wollten.«
    Herr Müller ist sofort mit von der Partie und folgt mir ins Haus. Ich überrasche ihn, indem ich ihn, am Aufenthaltsort des Etwas vorbei, einmal durchs Haus und nach vorne aus der Eingangstür schiebe.
    »Was soll das?«, fragt er.
    »Herr Müller, kennst du dich mit Märchen aus?«
    Ich habe einmal eine komplette wissenschaftliche Abhandlung über die Überlieferung von Märchen gelesen, über hundert Seiten, und eben fiel mir da wieder etwas draus ein.
    »Natürlich. Jeder kennt sich mit Märchen aus. Aber was soll das jetzt? Was willst du von mir?«
    Mittlerweile ist es sehr dunkel, der Mond zeigt sich heute eher dünnhäutig. Wir stehen vorm Haus, neben Herrn Müllers Subaru und können gerade mal die entfernte Silhouette

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