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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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den Lautsprechern, »heute Morgen einige der weltweit bekanntesten Experten auf dem Gebiet der systemischen Infektionen begrüßen zu dürfen. St. Iberius ist stolz darauf, auf diesem Gebiet selbst einige Erfolge vorweisen zu können, die wir Ihnen heute präsentieren wollen. Aber nun bitte ich Sie, unseren ersten Gastredner willkommen zu heißen: Professor Robert Klinefelter aus Philadelphia.«
    Unter dem Applaus der Menge erklomm Professor Klinefelter, ein steifer, ernster Mann mit dünnem braunem Kinnbart, die Treppe zum Podium. Er räusperte sich ins Mikrofon.
    »Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren. In meinem Vortrag mit dem Titel ›Apoptose und Neutrophilie‹ möchte ich versuchen, Ihnen nahezubringen, wie …«
    Dawn schaltete ab. In Gedanken war sie erneut bei Mrs. Walker, die man heute entlassen und wieder in das personell unterbesetzte Altenheim zurückbringen würde, damit sie dort mutterseelenallein und unbeachtet in einem tristen, stillen Zimmer am Ende eines Korridors lag. Dawn beschlich das übermächtige Gefühl, versagt zu haben. Es widersprach ihren Prinzipien, eine Patientin in diesem Zustand zu entlassen. Nicht nur, weil sie nichts getan hatten, um der Frau zu helfen; im Grunde ging es der Patientin sogar schlechter als bei ihrer Einlieferung. Ihr Unwohlsein schien sich jeden Tag noch verstärkt zu haben. Dawn faltete die Hände. Was tat sie eigentlich hier? Sie saß herum und hörte sich Vorträge über Laborexperimente an, während oben auf der Station ein Mensch aus Fleisch und Blut in Not war. Sie hatte Mrs. Walker versprochen zu helfen, und nun blieben ihr nur noch wenige Stunden, um sich etwas einfallen zu lassen. Dawn stand von ihrem Platz auf. Als sie sich auf den Weg zum Ausgang an den Leuten in ihrer Sitzreihe vorbeidrängte, waren
diese gezwungen, die Knie zu verdrehen und die Füße einzuziehen. Aber keiner beschwerte sich. Jeder kannte und achtete die marineblaue Uniform. Kurze Zeit später war sie im Treppenhaus, stieg bis zur Tür mit dem grünen Notausgangsschild hinauf und trat in den kalten Korridor.
    Auf der Station war Clive gerade dabei, Mrs. Walker das Frühstück zu servieren. Er stand mit dem Rücken zur Tür. Clive hatte noch nie den Eindruck erweckt, sich für seine Arbeit zu begeistern, aber heute wirkte er, falls das überhaupt möglich war, besonders entnervt. Er seufzte, verdrehte die Augen und tippte mit dem Fuß auf den Boden, während er darauf wartete, dass Mrs. Walker den nächsten Löffel entgegennehmen konnte. Als sie ihn sah, dachte Dawn: Er hasst seine Arbeit wirklich . Sie hatte ein paarmal versucht, mit ihm darüber zu reden und herauszufinden, ob es etwas Konkretes gab, das ihn störte. Er hatte sie schroff zurückgewiesen und schien verärgert über diesen vermeintlichen Versuch, sich in seine Privatangelegenheiten einzumischen. Das Gespräch hatte zu nichts geführt.
    Mrs. Walker lag in ihrem viel zu großen Nachthemd im Bett und wirkte nach der schlaflosen Nacht vollkommen erschöpft. Sie drehte den Kopf hin und her in dem verzweifelten Versuch, das Porridge abzuwehren, das Clive ihr aufnötigte.
    »Rein damit«, giftete er und zwängte den Löffel mit Gewalt zwischen ihre Lippen.
    In dem Moment passierte es.
    Dawn hatte eine Hand an die Klinke gelegt und wollte gerade eintreten. Da hob Mrs. Walker beide Hände, um den Löffel abzuwehren. Die Kissen verrutschten, und sie glitt vom Bett. Der Löffel flog aus Clives Hand. Ein großer Klecks des grauen Breis landete auf seinem Kittel.
    Clive ließ die Schüssel sinken.

    »Verdammt noch mal!«
    Dawn verfolgte ungläubig, wie Clive Mrs. Walker bei den Armen packte. Er schob sie mit solcher Kraft aufs Bett zurück, dass ihr Kopf nach hinten kippte und gegen die Metallstangen am Kopfende des Bettes krachte. Ihre Lider zitterten, und vor lauter Angst und Schmerz stieß sie einen kleinen Schrei aus.
    Dawn schob die Tür auf.
    »Clive.« Ihre Kehle schnürte sich zu, auf einmal war sie außer Atem. »Kann ich bitte mal mit Ihnen sprechen?«
    Draußen auf dem Korridor sagte sie: »Was sollte das denn eben?«
    Clive, knallrot und wütend darüber, auf frischer Tat ertappt worden zu sein, hob beide Hände. »Tja, was sollte ich denn machen? Sie wollte das verdammte Zeug nicht essen. Und sie faselt wirres Zeug.«
    »Und Sie haben nicht versucht herauszufinden, was sie stört?«
    »Sie weiß nicht, was sie stört.« Höhnisch verzog er den Mund. »Und ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, mich um sie

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