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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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sehen, dass Ihnen die Dinge entglitten sind. Es sei denn …«, er überlegte, »… es sei denn, Sie haben momentan andere Probleme?«
    Er beobachtete sie, ohne zu blinzeln; der Blick aus seinen
kalten Schlangenaugen war vielsagend. Dawn richtete sich auf. Endlich. Endlich kam er zur Sache. Sie erwiderte seinen kalten Blick. »Was wäre dann?«
    »Nun, in dem Fall schlage ich Ihnen vor, sie aus der Welt zu schaffen. Im Interesse Ihrer Patienten.«
    »Ach, wirklich?« Dawn verzog den Mund. »Und wie soll ich Ihrer Meinung nach vorgehen?«
    Dr. Coulton zog die Augenbrauen hoch. Sein ohnehin schon fliehendes Kinn verschwand in seinem Hemdkragen. Seine gesamte Mimik und Gestik schienen zu fragen: Wie bitte? Dawn hielt es nicht länger aus. Die Manipulationen, das Lauern, das Versteckspiel. Er verhöhnte sie. Er wusste, dass sie wusste, und sie wusste, dass er wusste. Genug. Sie würde da keine Minute länger mitspielen. Aber noch während sie die Worte aussprach, wurde ihr bewusst, wie verzweifelt sie sich danach sehnte, ihr Herz auszuschütten. Sie konnte es nicht länger für sich behalten.
    »Ich werde erpresst!«
    Es war, als hätte sich in ihrem Innern ein Schalter umgelegt. Eine Falltür hatte sich geöffnet, und nun entlud sich die aufgestaute Masse. Alle Dämme brachen, es gab kein Zurück mehr.
    Dr. Coultons Augenbrauen hoben sich noch mehr. Sein Kinn sackte noch weiter nach unten, bis es aussah, als wäre es an seinem Hals festgewachsen.
    »Erpresst?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Sind Sie zur Polizei gegangen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Sie wollte kreischen: »Das wissen Sie genau!« Aber die Zunge klebte ihr am Gaumen, machte jedes Sprechen unmöglich. Dr. Coulton wirkte ehrlich überrascht. In seinen
eisblauen Augen konnte sie keine Spur von Schadenfreude erkennen, keinen Funken Verschlagenheit. Dennoch blieb sie misstrauisch. Vorsicht. Sei vorsichtig .
    Sie sagte: »Es geht um eine Privatangelegenheit.«
    »Ich verstehe.«
    Dr. Coultons Blick schweifte ab. Offensichtlich war er von dem Stapel Zeitungen auf dem Schrank fasziniert. Dawn hätte sie ihm am liebsten an den Kopf geworfen. Wie seine Nasenflügel sich blähten, so geziert wie zwei kleine aufgespannte Regenschirme. Er tat so, als ginge es um ein schmutziges Sexgeheimnis. Die ledige Oberschwester, die es übertrieben und sich in die Bredouille gebracht hatte. Du liebe Güte. Wie hatte es bloß so weit kommen können?
    Ohne den Blick vom Aktenschrank zu wenden, sagte Dr. Coulton: »Ich verstehe, dass Sie nicht ins Detail gehen möchten. Aber falls Sie sich bislang niemandem anvertraut haben, empfehle ich Ihnen dringend, zur Polizei zu gehen. Die ganze Station leidet. Sie müssen Ihre Mitarbeiter zur Ordnung rufen, aber das geht nicht, wenn Sie von privaten Problemen abgelenkt werden.«
    So ruhig, so rational. Die männliche Stimme der Vernunft, die sich über die weibliche Stimme von Chaos und Unentschlossenheit erhob. Er wirkte so ernst, so überlegt. Er war in Sorge um die Patienten. Konnte er ihr das tatsächlich vorspielen? Glaubte er wirklich, Clive hätte das Morphium gestohlen? Aber das bedeutete … wenn es denn stimmte …
    Dawn wurde von Verzweiflung gepackt. Wenn es denn stimmte. Wenn er nicht der Erpresser war. Was hatte sie glauben lassen, er wäre der Täter? Eine beiläufige Bemerkung über eine Jalousie. Das war die Grundlage, auf der sie Dr. Coulton verdächtigt hatte und nicht irgendeine der vielen anderen Personen, die sich an jenem Tag auf der Station aufhielten. Sie hatte sich auf seine Bemerkung gestürzt
und alle anderen Informationen falsch interpretiert, um sie passend zu machen; in ihrer Verzweiflung hatte sie sich eingebildet, die Situation unter Kontrolle zu haben. Sie hatte gekämpft und sich abgemüht, um ihm ein Schnippchen zu schlagen, und sich tatsächlich eingeredet, ihrem Ziel näher gekommen zu sein. Und nun musste sie feststellen, dass sie nicht nur ganz am Anfang stand, sondern ihre Lage sich noch verschlechtert hatte. Dr. Coulton hatte recht. Was auch immer ihn dazu bewog, ihr einen Rat zu geben – er hatte recht.
    Sie ließ die Schultern hängen.
    »Also gut«, sagte sie. »Ich werde es tun. Ich werde zur Polizei gehen.«
    Dr. Coulton meinte ernst: »Sie tun das Richtige. Erpressung ist eine Straftat. Sie können das nicht allein regeln.«
    »Nein. Nein, ich weiß.« Sie wusste gar nichts. Sich Dr. Coulton zu offenbaren, hatte jetzt schon einen Teil der Last von ihrer Seele genommen. Einem Polizisten die

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