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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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selbstverständlich voraussetzen konnte: einmal brachte sie die Rede auf Nabokovs dem Untergang geweihten Schachspieler Lushin, der ahnte, dass es im Leben wie beim Schachspiel zwangsläufig gewisse Kombinationen gab, denen er nicht gewachsen war, wollte ihm sozusagen per Analogie klarmachen, dass auch sie eine (freilich etwas anders geartete) Ahnung von einer bevorstehenden Katastrophe hatte (was nichts mit ständig wiederkehrenden Mustern, sondern mit der Unabwendbarkeit des Unvorhersehbaren zu tun hatte), doch er starrte sie nur mit einem gekränkten Blick an, der ihr bewies, dass er noch nie von dem Schriftsteller, geschweige denn von Lushins Verteidigung gehört hatte. Umgekehrt überraschte er sie, als er sie einmal aus heiterem Himmel fragte: »Wieso Picabia?« Es sei doch merkwürdig, nicht wahr, dass Otto Cohen, ein Überlebender der Schreckenslager, sich für diese ganze neofaschistische Ma schinenschwärmerei, für brutale Gewalt und für die Verherrlichung der Entmenschlichung habe begeistern können. »Wer nur einmal mit einer Maschine zu tun hatte«, fügte er hinzu, »und das haben wir alle, Baby, der weiß, dass man von ihnen nur eins mit Sicherheit behaupten kann, ob Computer oder Fahrrad: sie funktionieren nicht.« Wie kommst du denn darauf, setzte sie an und geriet in s Stocken, weil ihr der herablassende Tonfall nicht gefiel, aber er antwortete ohne Eitelkeit. Als er das erste Mal von Marinetti gehört habe, sagte er, habe er alles falsch verstanden und geglaubt, dass Futurismus etwas mit Puppen zu tun habe. »Marionetten, Kathputli, damals wollte ich in einem Film unbedingt moderne Puppenspieltechniken verwenden, vielleicht um Dämonen oder andere übernatürliche Wesen darzustellen. Also habe ich mir ein Buch besorgt.« Ein Buch besorgt. Aus dem Munde Gibrils, des Autodidakten, klang es wie: Stoff besorgt. Für ein Mädchen aus einem Haus, in dem Bücher verehrt wurden - ihr Vater hatte ihnen befohlen, jedes zufällig zu Boden gefallene Buch zu küssen, und dessen Reaktion darin bestanden hatte, ihnen übel mitzuspielen, Seiten herauszureißen, die sie behalten wollte oder für schlecht befunden hatte, in die Bücher hineinzukritzeln und sie zu zerkratzen, um klarzustellen, wer das Sagen hatte -, war Gibrils gutmütige Respektlosigkeit, Bücher als das zu nehmen, was sie waren, ohne das Bedürfnis zu verspüren, vor ihnen niederzuknien oder sie zu ruinieren, etwas Neues; und, wie sie fand, auch Sympathisches. Sie lernte von ihm. Er dagegen stellte sich taub gegen jede Art von Wissen, das sie mit ihm teilen wollte, etwa: was der richtige Platz für schmutzige Socken sei. Als sie ihm einmal vorschlug, »im Haus mitzuhelfen«, zog er sich in ein zutiefst beleidigtes Schmollen zurück und erwartete, dass sie ihm solange um den Bart ging, bis er wieder guter Laune war. Und angewidert stellte sie fest, dass sie, zumindest im Moment, willens war, seinen Erwartungen zu entsprechen.
    Das Schlimmste an ihm, so folgerte sie versuchsweise, war sein Talent, sich herabgesetzt, lächerlich gemacht, angegriffen zu fühlen. Es wurde nahezu unmöglich, ihm irgendetwas zu sagen, egal, wie vernünftig es wa r, wie vorsichtig es formuliert wurde. »Hau ab, verschwinde, zieh Leine!« brüllte er dann und verschloss sich in seinem verwundeten Stolz. Und das Verführerischste an ihm war, dass er instinktiv wusste , was sie wollte, dass er, wenn er dazu aufgelegt war, ihre geheimsten Wünsche erfüllen konnte. Was zur Folge hatte, dass es sexuell zwischen ihnen buchstäblich funkte. Der winzige Funke, der bei ihrem ersten Kuss geflogen war, blieb keine einmalige Angelegenheit; immer wieder funkte es, und wenn sie sich liebten, glaubte Allie manchmal, das Knistern der Elektrizität um sich herum hören zu können; zuweilen spürte sie, wie sich ihre Haare aufstellten. »Es erinnert mich an den elektrischen Dildo in Vaters Arbeitszimmer«, sagte sie zu Gibril, und sie lachten.
    »Bin ich die Liebe deines Lebens?« fragte sie schnell, und er antwortete genauso schnell: »Na klar.«
    Sie gestand ihm frühzeitig, dass die Gerüchte über ihre Unnahbarkeit, ja Gefühlskälte nicht unbegründet waren. »Nach Yels Tod übernahm ich auch diese Seite von ihr.« Sie hatte es nicht mehr nötig, der Schwester ihre Liebhaber ins Gesicht zu schleudern. »Und es hat mir auch keinen Spaß mehr gemacht.
    Es waren meistens revolutionäre Sozialisten, die mit mir vorliebnahmen , während sie von den heroischen Frauen träumten, denen sie

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