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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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ihrer Verhaftung stellten die zwölf Huren fest, dass sie sich an ihre alten Namen nicht mehr erinnern konnten, so sehr hatten sie sich an die neuen gewöhnt. Und da sie viel zu viel Angst hatten, als dass sie den Gefängniswärtern ihre angenommenen Namen gesagt hätten, gaben sie folglich überhaupt keine an. Die Aufseher brüllten und drohten, gaben aber schließlich nach und registrierten sie als Nummern, als Vorhang Nr. l, Vorhang Nr. 2 und so weiter. Aus Angst vor den Konsequenzen, die ein unbeabsichtigt ausgeplauderter Hinweis auf das Geheimnis der Huren gezeitigt hätte, hielten auch ihre ehemaligen Kunden den Mund, so dass möglicherweise nie etwas herausgekommen wäre, wenn der Dichter Baal nicht seine Gedichte an die Mauern des Stadtgefängnisses angeschlagen hätte.
    Zwei Tage nach Beginn der Verhaftungsaktion war das Gefängnis überfüllt mit Prostituierten und Zuhältern, deren Zahl während der zwei J ahre, in denen die UNTERWERFUNG Geschlechtertrennung in Jahilia durchgesetzt hatte, sprunghaft angestiegen war. Es sickerte durch, dass mancher Jahilier bereit war, den Spott des Pöbels zu unterstützen, ja sogar eine mögliche Verurteilung nach den neuen Moralgesetzen in Kauf zu nehmen, bloß um unter den Fenstern des Gefängnisses stehen zu können und jenen geschminkten Damen ein Ständchen zu bringen, die sie ins Herz geschlossen hatten. Die Damen drinnen zeigten sich von diesen Loyalitätsbekundungen wenig beeindruckt und gaben den Freiern vor den vergitterten Toren keinerlei Zeichen der Ermutigung. Am dritten Tag aber erschien unter diesen liebe shungrigen Narren ein besonders jämmerlicher Bursche mit Turban und in Pluderhose, dessen dunkle Haut unübersehbar helle Flecken aufwies. Viele Passanten kicherten bei seinem Anblick, aber als er begann, seine Gedichte zu singen, brach das Gekicher ab. Die Jahilier waren seit alters her große Freunde der Dichtkunst, und die Schönheit dieser Oden, welche dieser seltsame Herr vortrug, brachte sie zum Schweigen. Baal sang seine Liebesgedichte, und der Schmerz, den sie zum Ausdruck brachten, ließ alle anderen Verseschmiede verstummen, und Baal sprach für sie alle. An den Fenstern des Gefängnisses erschienen zum ersten Mal die Gesichter der verhafteten Huren, die vom Zauber der Lieder angelockt wurden. Als Baal seinen Vortrag beendet hatte, trat er nach vorn, um seine Verse an die Mauer zu schlagen. Die Wachtposten vor den Toren hatten Tränen in den Augen und machten keinerlei Anstalten, ihn davon abzuhalten.
    Jeden Abend kam dieser seltsame Bursche wieder und trug ein neues Gedicht vor, und jedes Mal klangen seine Verse lieblicher als beim letzten Mal. Vielleicht lag es an diesem Übermaß an Lieblichkeit, dass bis zum zwölften Abend, als er das zwölfte und letzte seiner jeweils einer anderen Frau gewidmeten Gedichte vortrug, niemand bemerkte, dass die Namen seiner zwölf »Frauen« identisch waren mit den Namen einer anderen Zwölfergruppe.
    Am zwölften Abend fiel es auf, und die Stimmung der Menge, die allabendlich zusammengeströmt war, um Baal zuzuhören, schlug sofort um. Der Enthusiasmus machte Empörung Platz, und Baal sah sich von zornigen Männern umringt, die die Gründe für diese verhohlene, feige Beleidigung wissen wollten.
    Baal nahm seinen grotesken Turban ab. »Ich bin Baal«, verkündete er. »Ich erkenne kein anderes Urteil als das meiner Muse, genauer gesagt, meiner zwölf Musen an.«
    Wächter führten ihn ab.
    General Khalid hätte Baal am liebsten an Ort und Stelle hinrichten lassen, aber Mahound befahl, den Dichter gleich nach den Huren vor Gericht zu stellen. Nachdem Baals zwölf Frauen, die sich von einem Stein hatten scheiden lassen, um ihn heiraten zu können, we gen unmoralischen Lebenswandel zum Tod durch Steinigen verurteilt worden waren, stand Baal dem Propheten von Angesicht zu Angesicht gegenüber, der Spiegel traf auf das Bild, dunkel traf auf hell. Khalid, zur rechten Mahounds sitzend, gab Baal eine letzte Gelegenheit, seine elenden Taten zu erklären. Der Dichter erzählte in einfachsten Worten von seiner Zeit im »Vorhang«, verschwieg nichts, auch nicht seine letzte Feigheit, die er mit all seinen folgenden Taten hatte wiedergutmachen wollen.
    Dann geschah etwas Ungewöhnliches. Die Menge, die sich im Gerichtszelt drängte, wohl wissend, dass dies hier der berühmte Satiriker Baal war, seinerzeit der scharfzüngigste und hellste Kopf in Jahilia, begann zu lachen, so sehr sie es auch zu unterdrücken versuchte.

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