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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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dahin, gleichwohl wusste er, dass »alles, was gut war an ihm und in ihm wirkte«, durch seine Begegnung mit diesem Eiland der Vernunft, das umschlossen war vom kühlen Verstand des Meers, »gemacht, geformt und beflügelt« worden war. Was das Materielle betraf, so hatte er seine Liebe dieser Stadt geschenkt, London, und sie der Stadt seiner Geburt vorgezogen wie auch jeder anderen, hatte sich an sie herangeschlichen, verstohlen, mit wachsender Erregung, war zur Salzsäule erstarrt, wenn sie in seine Richtung blickte, hatte davon geträumt, derjenige zu sein, der sie besaß und dadurch, gewissermaßen , zu ihr wurde, so wie im Spiel »Großmutter, wie weit darf ich reisen?« das Kind, das den berührt, der es war (»dran ist« würden die jungen Londoner heute sagen), diese teure Identität übernimmt, wie auch in dem Mythos vom Goldenen Zweig. London, dessen zusammengewürfeltes Wesen sein eigenes spiegelte, deren Zurückhaltung seine eigene war; seine Fratzen, die gespenstischen Schritte römischer Füße auf seinen Straßen, der Schrei seiner d avonfliegenden Wildgänse. Seine Gastfreundschaft - jawohl! -, trotz Einwanderungsgesetzen und seiner eigenen jüngsten Erfahrung bestand er auf der Wahrheit: ein mangelhaftes Willkommen, gut, ein der Bigotterie fähiges, aber dennoch das Wahre, was bezeugt wurde durch die Existenz eines Pubs in einem Südlondoner Stadtteil, in dem ausschließlich ukrainisch gesprochen wird, und durch das alljährliche Treffen in Wembley, einen Steinwurf entfernt vom großen Stadion, umgeben von imperialem Widerhall - Empire Way, Empire Pool -, von über hundert Delegierten, die allesamt ihre Herkunft auf ein einziges, kleines Dorf in Goa zurückverfolgen. »Wir Londoner können stolz auf unsere Gastfreundschaft sein«, hatte er zu Pamela gesagt, worauf sie mit ihm, zwanghaft kichernd, in den Buster-Keaton-Film gleichen Namens gegangen war, in dem dem Komiker, als er am Ende einer absurden Bahnlinie ankommt, ein mörderischer Empfang bereitet wird. In jenen Tagen hatten sie derartige Gegensätze genossen, waren nach heißen Diskussionen im Bett gelandet… Er richtete seine schweifenden Gedanken wieder auf das Thema der Metropole. Ihre - so wiederholte er sich stur - lange Geschichte als Zufluchtsort, eine Rolle, die sie ungeachtet der aufsässigen Undankbarkeit der Flüchtlingskinder beibehielt, und ohne jede selbstgefällige Rhetorik von den buntgedrängten Massen, von der »Nation aus Einwanderern« von jenseits des Ozeans, die ihrerseits wenig mit weit ausgebreiteten Armen zu tun hatte. Hätten denn die Vereinigten Staaten mit ihrem Sind-Sie-jetzt-waren-Sie-je Ho Tschi Minh auch nur erlaubt, in ihren Hotelküchen zu kochen?
    Was hätte deren McCarran-Walter-Gesetz über einen zeitgenössischen Karl Marx zu sagen, der rauschebärtig vor ihren Toren stünde und ihre gelben Linien überschreiten wollte?
    O Großes London! Wahrlich arm wäre jener an Seele, der seine verblichene Pracht, sein neues Zaudern nicht den heißen Gewissheiten jenes transatlantischen Neuen Roms und seinem nazifizierten architektonischen Gigantismus vorzöge, der die erdrückende Wucht der Größe dazu benutzte, dass seine Bewohner sich wie Würmer fühlten… London bewahrte sich, trotz der Zunahme von Auswüchsen wie zum Beispiel der NatWest Tower - ein Firmenlogo, das in die dritte Dimension ragt - das menschliche Maß. Viva! Zindabad!
    Pamela hatte derlei Rhapsodien stets mit bissigen Bemerkungen quittiert. »Das sind doch Museumswerte«, pflegte sie ihm zu entgegnen. »Geheiligt hängen sie in güldenen Rahmen an ehrfurchtgebietenden Wänden.« Für Dauerndes hatte sie noch nie Zeit gehabt. Alles ändern! Alles niederreißen! Er sagte: »Wenn du damit Erfolg hast, ist es in ein, zwei Generationen für Leute wie dich unmöglich, mitzuhalten.« Sie feierte diese Vision ihres eigenen Verhaltens.
    Wenn sie wie der Dodo endete - ein ausgestopftes Relikt, Klassenverräter, um 1980 -, dann würde dies, so sagte sie, unbedingt auf eine Verbesserung der Welt hindeuten. Er war leider anderer Meinung, aber zu diesem Zeitpunkt lagen sie einander bereits in den Armen, was tatsächlich eine Verbesserung war, worauf er es gut sein ließ.
    (In einem Jahr hatte die Regierung Eintritt ins Museum verlangt, und Gruppen aufgebrachter Kunstfreunde demonstrierten vor den Tempeln der Kultur. Als Chamcha das sah, wollte er sich mit einem eigenen Plakat dazugesellen und einen Ein-Mann-Gegenprotest starten. Hatten diese Leute denn keine

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