Die Satanischen Verse
Service gelernt hatte, aber auch Gospel lag darin, und ein höllischer Predigtton. »Mein Sohn füllte die Anklagebank«, berichtete sie dem stillen Raum. »Lord, er füllte sie aus. Sylvester - ihr werdet mir verzeihen, wenn ich ihn bei dem Namen nenne, den ich ihm gab, womit ich den Namen des Kriegers, den er annahm, nicht herabsetzen will, es geschieht nur aus alter Gewohnheit -, Sylvester also schoss von der Anklagebank hoch wie ein Leviathan aus den Wellen. Ihr sollt wissen, wie er sprach: er sprach laut, und er sprach klar. Er sprach, und schaute seinem Widersacher in die Augen. Und konnte der Staatsanwalt ihn dazu bringen, die Augen zu senken? Nie im Leben. Und ihr sollt wissen, was er sagte: ›Ich stehe hier‹, erklärte mein Sohn, ›weil ich es vorgezogen habe, die alte und ehrenhafte Rolle des unverschämten Niggers einzunehmen. Ich bin hier, weil ich nicht bereit bin, einen vernünftigen Eindruck zu machen. Ich bin hier, weil ich undankbar bin.‹ Er war ein Koloss zwischen Zwergen. ›Und dass das klar ist‹, sagte er vor Gericht, ›wir sind hier, um die Dinge zu ändern. Ich bin der erste, der zugibt, dass auch wir selbst dabei geändert werden; Afrikaner, Westinder, Ind er, Pakistani, Bangladeschi, Zyprioten, Chinesen, wir sind anders, als wir es gewesen wären, wenn wir nicht die Meere überquert hätten, wenn unsere Mütter und Väter nicht den Himmel auf der Suche nach Arbeit und Würde und einem besseren Leben für ihre Kinder durchquert hätten. Wir wurden neu geschaffen: aber ich sage, dass wir auch diejenigen sein werden, die diese Gesellschaft neu schaffen, die sie von oben bis unten neu gestalten werden. Wir werden die toten Stämme fällen und frisches Grün pflanzen. Die Reihe ist jetzt an uns.‹ Ich möchte, dass ihr darüber nachdenkt, was mein Sohn, Sylvester Roberts, Dr. Uhuru Simba, am Ort der Gerechtigkeit sagte. Denkt darüber nach, während wir beschließen, was zu tun ist.«
Ihr Sohn Walcott führte sie unter Hochrufen und Sprechchören von der Bühne, sie nickte kaum merklich in Richtung des Lärms. Es folgten weniger charismatische Reden.
Hanif Johnson, Simbas Anwalt, machte eine Reihe von Vorschlägen - der Besucherraum müsse stets gestopft voll sein, die Rechtssprecher müssten wissen, dass man ihnen auf die Finger schaute, vor dem Gericht müsse demonstriert und ein Dienstplan eingerichtet werden, ein Aufruf zu finanzieller Unterstützung sei notwendig. Chamcha raunte Jumpy zu:
»Keine Rede von seiner Vorgeschichte als Sexualtäter.« Jumpy zuckte die Schultern. »Einige der Frauen, die er belästigt hat, sind hier im Raum. Mishal etwa steht da drüben, dort, in der Ecke bei der Bühne. Aber das ist jetzt weder die Zeit noch der Ort für so etwas. Simbas Bullenwildheit ist sozusagen ein Problem der Familie. Worum es hier geht, ist das Problem mit dem Soulbrother.« Unter anderen Umständen hätte Saladin auf eine solche Erklärung eine Menge zu sagen gewusst . Zum einen hätte er eingewandt, dass ein Vorstrafenregister als Gewalttäter bei einer Mordanklage nicht so einfach beiseite gewischt werden könnt« Auch, dass er den Gebrauch von amerikanischen Begriffen »Soulbrother« in der ganz anders gearteten Situation Englands, wo es keine Geschichte der Sklaverei gab, nicht mochte; das klang wie ein Versuch, sich den Glanz anderer, gefährlicherer Kämpfe zu leihen; selbige Haltung missfiel ihm bei der Entscheidung der Organisatoren, die Reden mit so bedeutungsschwangeren Liedern wie We Shall Overcome und sogar, großer Gott, Nkosi Sikelel’ iAfrika abzuwechseln. Als wäre jede Ursache gleich, alle Geschichte austauschbar. Aber er sagte nichts dergleichen, weil ihm der Kopf schwirrte und ihm schwindlig geworden war, denn ihm war zum ersten Mal in seinem Leben eine betäubende Vorahnung seines Todes zuteil geworden.
Hanif Johnson beendete seine Rede. Wie Dr. Simba geschrieben hat, wird das Neue in diese Gesellschaft nicht durch individuelle, sondern durch kollektive Aktionen hineingetragen. Was er da zitierte, war, wie Chamcha erkannte, eines von Camus’ bekanntesten Schlagwörtern. Der Weg von der Sprache zur moralischen Aktion, sagte Hanif, hat einen Namen: Mensch werden. Und nun stimmte eine hübsche junge asiatische Britin mit einer etwas-zu-knolligen Nase und einer schmutzig-bluesigen Stimme Bob Dylans Song I Pity the Poor Immigrant an. Wieder so eine falsche und importierte Note; das Lied erschien einigermaßen einwandererfeindlich, auch wenn es Zeilen enthielt,
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