Die Satanischen Verse
die zurückkehrenden Schmetterlinge. Said starrte ungläubig auf die goldene Wolke, wie sie sich zunächst sammelte und dann Ströme geflügelten Lichts in alle Richtungen aussandte. Aischa wollte zur Kreuzung zurück. Said war dagegen: »Da unten ist alles überschwemmt. Unsere einzige Chance ist, den Berg die andere Seite hinunterzufahren und am andern Ende der Stadt herauszukommen.« Doch Aischa und Mishal waren schon auf dem Rückweg; die Prophetin stützte die andere, aschfahle Frau, indem sie sie um die Taille hielt.
»Mishal, Herrgott noch mal«, rief Mirza Said seiner Frau hinterher. »Um der Liebe Gottes willen. Was soll ich mit dem Auto machen?«
Aber sie ging weiter den Berg hinab, auf die Überschwemmung zu, schwer auf Aischa die Seherin gestützt, ohne sich umzublicken.
So geschah es, dass Mirza Said Akhtar seinen geliebten Mercedes-Benz Kombi am Eingang zu dem abgesoffenen Bergwerk von Sarang zurückließ und sich dem Pilgerzug zum Arabischen Meer zu Fuß anschloss .
Die sieben triefnassen Reisenden standen an der Kreuzung der Straße der Fahrradreparateure mit der Straße der Korbflechter schenkeltief im Wasser. Langsam, langsam hatte das Wasser begonnen abzufließen. »Machen wir uns nichts vor«, eiferte Said. »Mit der Pilgerreise ist Schluss . Die Dörfler sind wer weiß wo, vielleicht ertrunken, womöglich ermordet, jedenfalls nicht mehr da. Die einzigen, die dir noch folgen können, sind wir.« Er brachte sein Gesicht ganz nahe an Aischas. »Was soll’s, Schwester, du bist am Ende.«
»Schau«, sagte Mishal.
Von allen Seiten, aus den engen Gassen der Kesselflicker, kamen die Dörfler zum Ort ihrer Versprengung zurück. Alle waren sie vom Hals bis zu den Knöcheln von goldenen Schmetterlingen bedeckt, und lange Leinen der kleinen Wesen liefen vor ihnen her wie Stricke, die sie aus einem Brunnen in Sicherheit zogen. Die Leute von Sarang sahen ihnen voll Entsetzen von den Fenstern aus zu, und während die Wasser der Rache zurückwichen, formte sich die Aischa-Hadsch in der Mitte der Straße neu.
»Ich kann’s nicht glauben«, sagte Mirza Said.
Aber es war die Wahrheit. Jeder einzelne Teilnehmer der Pilgerfahrt war von den Schmetterlingen aufgespürt und zur Hauptstraße zurückgebracht worden. Seltsamere Behauptungen wurden später erhoben: dass die Verletzung, als die Wesen sich auf einen gebrochenen Knöchel niederließen, geheilt worden sei, oder dass sich eine offene Wunde wie durch Zauberei geschlossen habe. Viele Marschierer sagten, sie seien aus der Bewusstlosigkeit erwacht und hätten gesehen, wie die Schmetterlinge ihre Lippen umflatterten. Manche glaubten gar, sie seien tot gewesen, ertrunken, und dass die Schmetterlinge sie wieder zum Leben erweckt hätten.
»Seid nicht so dumm«, schrie Mirza Said. »Der Sturm hat euch gerettet; er hat eure Feinde hinweggespült, es überrascht daher nicht, dass nur wenige von euch verletzt sind. Seien wir doch bitte wissenschaftlich.«
»Mach die Augen auf, Said«, forderte Mishal ihn auf und zeigte auf die über hundert Männer, Frauen und Kinder, die vor ihnen standen, eingehüllt in leuchtende Schmetterlinge. »Was sagt deine Wissenschaft dazu?«
Während der letzten Tage der Pilgerreise war die Stadt ständig um sie. Beamte der Stadtverwaltung setzten sich mit Mishal und Aischa zusammen, um eine Strecke durch die Metropole zu planen. An dieser Strecke lagen Moscheen, in denen die Pilger schlaf en konnten, ohne die Straßen zu verstopfen. Die Aufregung in der Stadt war enorm: Tag für Tag, wenn die Pilger zu ihrem nächsten Ruheplatz aufbrachen, wurden sie von riesigen Menschenmengen beobachtet, manche höhnten und feindeten sie an, viele aber brachten Geschenke, Süßigkeiten, Arznei, Essen.
Mirza Said, ausgemergelt und verdreckt, befand sich in einem Zustand tiefer Frustration ob seines Scheiterns, mehr als eine Handvoll Pilger davon zu überzeugen, dass es besser war, auf Vernunft statt auf Wunder zu setzen. Wunder hätten ihnen bisher doch ziemlich geholfen, machten die Leute aus Titlipur, nicht ohne Grund, geltend. »Diese verdammten Schmetterlinge«, brummelte Said den Sarpanch an. »Ohne sie hätten wir eine Chance gehabt.«
»Aber sie waren ja von Anfang an dabei«, entgegnete der Sarpanch achselzuckend.
Mishal Akhtar war offensichtlich dem Tode nah; sie roch bereits danach und hatte eine kalkweiße Farbe angenommen, die Said einen gehörigen Schrecken einjagte. Doch Mishal ließ ihn nicht an sich heran. Auch ihre Mutter
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