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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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einer Blume?«
    Und Mrs. Qureishi steckte den Kopf durch Osmans verdrehte Beine und setzte in einem lilagesichtigen Japser hinzu: »Ach, komm, Mishu, hör auf. Wir meinen es doch gut.«
    Gibril träumte eine Flut:
    Als der Regen einsetzte, erwarteten die Bergleute von Sarang die Pilger mit Pickeln in Hän den, doch als die Fahrradbarrikade hinweggefegt wurde, konnten sie sich nicht des Gedankens erwehren, dass Gott sich auf Aischas Seite geschlagen hatte. Die Kanalisation der Stadt ergab sich dem überwältigenden Ansturm des Wassers auf der Stelle, und die Bergleute standen alsbald in einer trüben Flut, die ihnen bis zur Taille reichte. Einige versuchten, zu den Pilgern vorzudringen, die ebenfalls Anstrengungen unternahmen, vorwärts zu kommen. Aber da verdoppelte der Wolkenbruch seine Kraft und verdoppelte sie ein weiteres Mal, fiel in dicken Scheiben vom Himmel, durch die das Atmen immer schwerer fiel, und es schien, als würde die Erde verschlungen und das Firmament oben sich mit dem Firmament unten vereinigen.
    Gibril gewahrte in seinem Traum, dass seine Vision von Wasser getrübt wurde.
     
    Der Regen hörte auf, und eine wässrige Sonne schien herab auf eine venezianische Szene der Verwüstung. Die Straßen Sarangs waren jetzt Kanäle, auf denen das unterschiedlichste Treibgut schwamm. Wo eben noch Roller-Rikschas und reparierte Fahrräder weggerissen worden waren, trieben nun Zeitungen, Blumen, Armreifen, Wassermelonen, Schirme, Chappals, Sonnenbrillen, Körbe, Exkremente, Arzneiflaschen, Spielkarten, Dupattas, Pfannkuchen, Lampen. Das Wasser war eigenartig rötlich gefärbt, was die durchnässte Bevölkerung zu der Vorstellung veranlasste , durch die Straße strömte Blut. Von Prügelkumpeln wie von Aischa-Pilgern fehlte jede Spur. Ein Hund schwamm bei der zusammengebrochenen Fahrradbarrikade über die Kreuzung und im ganzen Umkreis lag die feuchte Stille der Flut, deren Wasser an eingeschlossenen Bussen leckten, während Kinder von den Dächern aufgeweichter Gassen herabstarrten, zu geschockt, um zum Spielen herunterzukommen.
    Dann kehrten die Schmetterlinge zurück.
    Aus dem Nichts, als hätten sie sich hinter der Sonne versteckt, und um das Ende des Regens zu feiern, hatten sie alle die Farbe des Sonnenli chts angenommen. Dieser riesige Lichtteppich am Himmel verwirrte die Menschen von Sarang, denen der Kopf noch von den Nachwirkungen des Unwetters schwirrte, aufs äußerste; in ihrer Angst vor der Apokalypse verbargen sie sich in den Häusern und schlössen die Fensterläden. Auf einem nahegelegenen Berghang aber beobachteten Mirza Said und seine Gruppe die Rückkehr des Wunders, und alle, selbst der Zamindar, wurden von einer Art Ehrfurcht erfüllt.
    Mirza Said war gefahren, was das Zeug hielt, obwohl er vom Regen, der durch das Loch der zerborstenen Windschutzscheibe strömte, halb blind war, bis er auf einer Straße, die einen Hügel hinaufführte, vor den Toren des Sarang Kohlenflözes Nr. l anhielt. Die Förderanlagen waren verschwommen durch den Regen sichtbar. »Eierkopf«, verfluchte ihn Mishal Akhtar matt. »Da unten warten die Strolche auf uns, und du fährst uns hier hoch zu ihren Kumpels.
    Klasse Idee, Said. Ganz toll.«
    Aber sie hatten keinen Ärger mehr mit den Bergleuten. Es war der Tag der Bergwerkskatastrophe, die fünfzehntausend Bergleute unter dem Sarangi-Berg lebendig begrub. Said, Mishal, der Sarpanch, Osman, Mrs. Qureishi, Srimvas und Aischa standen erschöpft und naß bis auf die Haut an der Straße, als Rettungswagen, Feuerwehren, Bergungsspezialisten und Grubenbosse in großer Zahl eintrafen und sehr viel später, kopfschüttelnd, wieder abzogen.
    Der Sarpanch nahm die Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger. »Leben ist Schmerz«, sagte er. »Leben ist Schmerz und Verlust; es ist eine Münze ohne Wert, wertloser noch als eine Kauri oder ein Dam.«
    Osman der Ochsenjunge, der, wie der Sarpanch, auf der Pilgerreise den Lebensgefährten verloren hatte, weinte ebenfalls. Mrs. Qureishi versuchte, das Positive daran zu sehen. »Hauptsache, uns geht’s gut«, aber niemand antwortete. Dann schloss Aischa die Augen und deklamierte mit der Singsangstimme der Prophezeiung: »Es ist die Strafe für den bösen Versuch, den sie unternommen haben.«
    Mirza Said wurde wütend. »Sie waren nicht bei der verdammten Barrikade«, brüllte er. »Sie arbeiteten verflucht noch mal unter Tage.«
    »Sie gruben sich ihr eigenes Grab«, entgegnete Aischa.
     
    In diesem Augenblick erblickten sie

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