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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Beschwichtigungsversuch. »Bitte, nehmen Sie dies als Zeichen meiner Wertschätzung.« Und zog aus einer Innentasche eine Familienplanungspuppe.
    In jener Nacht blieben die Deserteure im Innern des Kombis, während die Gläubigen unter freiem Himmel beteten. Man hatte ihnen gestattet, in einem ausrangierten Verschiebebahnhof unter Bewachung von Militärpolizei zu kampieren. Mirza Said konnte nicht schlafen. Er dachte über etwas nach, was Srinivas zu ihm gesagt hatte, darüber, ein Gandhianer im Geiste zu sein, »aber ich bin zu schwach, um solche Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Entschuldigen Sie, aber es ist so. Ich bin nicht zum Leiden geschaffen, Sethij. Ich hätte bei Frau und Kindern bleiben und diese Abenteuerkrankheit, wegen der ich an so einem Ort gelandet bin, ausmerzen sollen.«
    Auch in meiner Familie, antwortete Mirza Said in seiner Schlaflosigkeit dem schlafenden Spielzeugfabrikanten, leiden wir an einer Art Krankheit: einer der Distanz, der Unfähigkeit, uns mit Dingen, Ereignis sen, Gefühlen zu verbinden. Die meisten Menschen definieren sich über ihre Arbeit oder woher sie kommen oder dergleichen; wir haben zu tief im Geiste gelebt. Das macht es verdammt schwer, mit der Wirklichkeit zurechtzukommen.
    Was heißen sollte, dass er nur schwer glauben konnte, dass all dies wirklich geschah; doch es geschah.
     
    Als die Aischa-Pilger am nächsten Morgen aufbruchbereit waren, lösten sich die riesigen Wolken der Schmetterlinge, die den ganzen Weg von Titlipur her mit ihnen gereist waren, plötzlich auf und verschwanden aus dem Blick, und der Himmel überzog sich mit anderen, prosaischeren Wolken. Selbst die Geschöpfe die Aischa gekleidet hatten - das Elitekorps, sozusagen -, machten sich aus dem Staub, und so musste sie die Prozession in der banalen Schlichtheit eines alten Baumwollsaris mit einem blockgedruckten Blättersaum anführen. Das Verschwinden des Wunders, das ihre Pilgerreise legitimiert zu haben schien, deprimierte die Marschierenden, so dass sie, entgegen aller Mahnungen seitens Mishal Akhtars, nicht in der Lage waren zu singen, als sie, des Segens der Schmetterlinge beraubt, ihrem Schicksal entgegengingen.
     
    Der »Keine islamische Padyatra«-Mob hatte Aischa in einer Straße, die zu beiden Seiten mit Fahrradreparaturschuppen gesäumt war, ein Willkommen bereitet. Er hatte die Route der Pilger mit kaputten Fahrrädern blockiert und wartete hinter dieser Barrikade aus verbogenen Rädern, krummen Lenkstangen und verstummten Klingeln, als die Aischa-Hadsch von Norden her die Straße betrat. Aischa ging dem Mob entgegen, als existierte er nicht, und als sie die letzte Kreuzung erreichte, hinter der die Knüppel und Messer des Feindes auf sie warteten, ertönte ein Donnerschlag, gleich den Trompeten des Jüngsten Gerichts, und ein Ozean ergoss sich aus dem Himmel. Die Dürre war zu spät gebrochen worden, um die Ernte noch zu retten; hinterher g laubten viele Pilger, Gott habe das Wasser für genau diesen Zweck aufgespart und die Ernte eines Jahres geopfert, um seine Prophetin und ihre Getreuen zu retten.
    Die gewaltige Wucht des Gusses erschütterte Pilger wie Gegner. In dem Durcheinander der Flut erklang eine zweite Trompete des Jüngsten Gerichts. Es war dies die Hupe von Saids Mercedes-Benz Kombi, den dieser mit hoher Geschwindigkeit durch die erstickenden Gassen des Vororts fuhr, dabei Gestelle, an denen Hemden hingen, Kürbiskarren und Tische mit billigem Plastikzeug zum Einsturz brachte, bis er die Straße der Korbflechter erreichte, die sich mit der Straße der Fahrradreparateure unmittelbar nördlich der Barrikade kreuzte. Hier beschleunigte er so sehr er konnte und schoss auf die Kreuzung zu, versprengte Fußgänger und Korbhocker in alle Richtungen. Er erreichte die Kreuzung unmittelbar, nachdem das Meer vom Himmel gefallen war, und bremste heftig. Sri Srinivas und Osman sprangen heraus, packten Mishal Akhtar und die Prophetin Aischa und beförderten sie in einem Hagelschauer aus Beinen, Sputum und Flüchen in den Mercedes. Said beschleunigte weg vom Schauplatz, bevor sich jemand das blendende Wasser aus den Augen wischen konnte.
    Im Wageninnern: übereinandergeschichtete Leiber in wütendem Durcheinander. Mishal Akhtar, zu unterst im Haufen, überschüttete ihren Mann mit Schimpfworten: »Saboteur!
    Verräter! Widerlicher Abschaum! Esel!« Worauf Said sarkastisch antwortete: »Märtyrertum wäre zu einfach, Mishal.
    Willst du denn nicht sehen, wie der Ozean sich öffnet, gleich

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