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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Doppelrolle zu schaukeln, die beiden dürfen nie gemeinsam in derselben Einstellung zu sehen sein, jeder muss zur Luft sprechen, zu der vorgestellten Inkarnation des anderen, und der Technik vertrauen, die das fehlende Bild erschaffen soll, mit Schere und Klebestreifen oder, exotischer, mit Hilfe einer Reisematte. Nicht zu verwechseln, haha, mit einem fliegenden Teppich.
    Er hat verstanden: dass er sich vor dem anderen fürchtet, dem Geschäftsmann, ist das nicht verrückt? Der Erzengel steht bebend vor einem gewöhnlichen Sterblichen. Das stimmt, aber: diese Art Angst empfindet man, wenn man zum allerersten Mal in einem Film mitspielt und da, im Begriff, ihren Auftritt zu machen, ist eine der lebenden Legenden des Kinos; man denkt, ich werde mich blamieren, den Mund nicht aufbringen, alles verpatzen, man möchte ihrer um jeden Preis würdig sein. Man wird vom Sog ihrer Genialität mitgerissen, sie kann einen gut aussehen lassen, wie einen Erfolgsmenschen, aber man merkt, wenn man das eigene Gewicht nicht tragen kann, und noch schlimmer, sie merkt es auch… Aus Angst, der Angst vor dem Ich, das sein Traum erschafft, wehrt sich Gibril gegen Mahounds Ankunft, versucht, sie hinauszuzögern, aber da kommt er, keine Frage, und der Erzengel hält den Atem an.
    Diese Träume, in denen man auf die Bühne gestoßen wird, auf der man nichts zu suchen hat, man kennt die Handlung nicht, hat den Text nicht gelernt, aber ein volles Haus, sieht zu: so fühlt er sich jetzt. Oder die wahre Geschichte von der weißen Schauspielerin, die in einem Stück von Shakespeare eine Schwarze spielt. Sie betrat die Bühne und merkte erst dann, dass sie immer noch ihre Brille aufhatte, o Gott, und sie hatte vergessen, ihre Hände zu schwärzen, so dass sie nicht hingreifen und die Brille abnehmen konnte, o Gott o Gott: auch so fühlt er sich. Mahound kommt zu mir um Offenbarung, verlangt von mir, mich zwischen Monotheismus und Henotheismus zu entscheiden, und ich bin nichts als ein idiotischer Schauspieler, der einen Bhaenchud-Alptraum hat, was zum Teufel weiß ich denn schon, yaar, was soll ich sagen, Hilfe. Hilfe.
     
    Um von Jahilia aus den Mount Cone zu besteigen, muss man durch dunkle Schluchten gehen, wo der Sand nicht weiß ist, nicht der reine Sand, der vor langer Zeit durch den Körper von Seegurken gefiltert wurde, sondern schwarz und eigensinnig und das Licht aus der Sonne saugt. Cone kauert über einem wie ein wildes Fabelwesen. Man steigt über sein Rückgrat auf.
    Man lässt die letzten Bäume mit weißen Blüten und dicken, milchigen Blättern hinter sich und klettert über die Felsblöcke, die umso größer werden, je höher man gelangt, bis sie wie riesige Mauern aussehen und die Sonne verdunkeln. Die Eidechsen sind blau wie Schatten. Dann steht man auf dem Gipfel, Jahilia liegt hinter einem, die gestaltlose Wüste vor einem. Man steigt auf der zur Wüste gelegenen Seite ab, und knapp zweihundert Meter weiter unten erreicht man die Höhle, die hoch genug ist, dass man aufrecht darin stehen kann, und deren Boden mit wundersamem Albinosand bedeckt ist.
    Während er hinaufsteigt, hört er die Wüstentauben seinen Namen rufen, und auch die Felsen grüßen ihn in seiner eigenen Sprache und rufen Mahound, Mahound. Wenn er bei der Höhle anlangt, ist er müde und schläft ein.
    Aber nachdem er geruht hat, fällt er in einen anderen Schlaf, eine Art Nicht-Schlaf, den Zustand, den er Zuhören nennt, und er spürt einen ziehenden Schmerz in den Eingeweiden, wie etwas, das versucht, geboren zu werden, und jetzt empfindet Gibril, der Oben-Schwebende-Hinunterschauende, eine Verwirrung, wer bin ich, in diesen Augenblicken beginnt es den Anschein zu haben, als wäre der Erzengel tatsächlich im Propheten, ich bin das Ziehen in den Eingeweiden, ich bin der Engel, der aus dem Nabel des Schlafenden gepresst wird, ich komme heraus, Gibril Farishta, während mein anderes Ich liegt und zuhört, in Trance, ich bin an ihn gebunden, Nabel an Nabel, durch eine leuchtende Lichtschnur, unmöglich zu sagen, wer von uns den anderen träumt. Entlang der Nabelschnur fließen wir in beide Richtungen.
    Heute spürt Gibril sowohl die überwältigende Stärke Mahounds wie auch seine Verzweiflung: seine Zweifel. Auch, dass er in großer Bedrängnis ist, aber Gibril kennt seinen Text immer noch nicht… er hört auf das Zuhören-das-auch-ein-Fragen ist.
    Mahound fragt: Sie sahen Wunder, aber sie glaubten nicht. Sie sahen, die ganze Stadt sah, wie du zu mir kamst

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