Die Satanischen Verse
Freund ist nicht im Irrtum, noch weicht er von der Wahrheit ab.
Noch spricht er nach eigenem Begehren. Eine Offenbarung ist ihm enthüllt worden: ein Mächtiger hat sie ihm zuteilwerden lassen.
Er stand auf dem hohen Horizont: der Herr der Stärke. Dann kam er näher, näher als zwei Bogenlängen, und offenbarte seinem Diener das, was offenbart ist.
Des Dieners Herz war rein, als er sah, was er sah. Wagt ihr es also zu bezweifeln, was er sah?
Ich sah ihn auch beim Lotusbaum am äußersten Ende, in dessen Nähe der Garten der Ruhe liegt. Als der Baum von seiner Umhüllung umhüllt war, wandte sich mein Auge nicht ab, noch wanderte mein Blick, und ich sah einige der größten Zeichen des Herrn.«
Dann trägt er, ohne zu zaudern, und frei von Zweifeln zwei weitere Verse vor.
»Hast du an Lat und Uzza, und an Manat, die dritte, die andere, gedacht?« - Nach dem ersten Vers erhebt sich Hind; der Grande von Jahilia steht bereits aufrecht da. Und Mahound trägt mit schweigenden Augen vor: »Sie sind die erhabenen Vögel, und ihre Fürbitte ist wahrlich erwünscht.«
Während der Lärm - Schreie, Beifallsrufe, Lästerungen, an Al-Lat gerichtete Rufe der Verehrung - im Zelt anschwillt und explodiert, gewahrt die bereits verblüffte Menge das in zweifacher Hinsicht aufsehenerregende Schauspiel, wie der Grande Abu Simbel die Daumen an die Ohrläppchen legt, die Finger beider Hände fächerförmig spreizt und mit lauter Stimme die Formel spricht: »Allahu Akbar.« Worauf er auf die Knie fällt und eine besonnene Stirn auf den Boden drückt. Seine Frau Hind folgt unverzüglich seinem Beispiel.
Der Wasserträger Khalid hat sich während dieser Ereignisse am Zelteingang aufgehalten. Jetzt beobachtet er entsetzt, wie alle, die hier versammelt sind, sowohl die Menge im Zelt als auch die Männer und Frauen davor, sich hinknien, Reihe um Reihe, die Bewegung pflanzt sich von Hind und dem Granden wellenartig nach außen fort, als ob sie Steinchen wären, die in einen See geworfen wurd en; bis die gesamte Versammlung außerhalb wie innerhalb des Zeltes mit den Hinterteilen in der Luft vor dem schlafenden Propheten kniet, der die Schutzgöttinnen der Stadt anerkannt hat. Der Verkünder selbst bleibt stehen, als ob er keine Lust hätte, sich der Versammlung bei ihrer Andacht anzuschließen. Der Wasserträger bricht in Tränen aus und flüchtet sich ins leere Herz der Stadt aus Sand.
Während er läuft, brennen seine Tränen Löcher in die Erde, als ob sie eine scharfe, ätzende Säure enthielten.
Mahound verharrt reglos. Keine Spur von Feuchtigkeit ist auf den Wimpern seiner geschlossenen Augen zu erkennen.
In jener Nacht des einsamen Triumphes des Geschäftsmannes im Zelt der Ungläubigen finden gewisse Morde statt, und die First Lady von Jahilia wird Jahre warten müssen, um sie auf schreckliche Weise rächen zu können.
Hamza, der Onkel des Propheten, ist allein auf dem Weg nach Hause, den Kopf geneigt und grau im Dämmerlicht jenes traurigen Sieges, als er ein Brüllen vernimmt, aufblickt und einen riesigen purpurroten Löwen sieht, der im Begriff ist, sich von der hohen Festungsmauer der Stadt auf ihn zu stürzen. Er kennt das Tier, die Sage. Das Schimmern seines purpurroten Fells verschmilzt mit der flimmernden Helligkeit des Wüstensandes. Durch seine Nüstern atmet es den Schrecken der einsamen Orte der Erde aus. Es speit Pestilenz, und wenn Heere sich in die Wüste wagen, frisst es sie mit Haut und Haar.
Durch das blaue, letzte Licht des Abends schreit er das Untier an und bereitet sich, unbewaffnet wie er ist, auf seinen Tod vor.
»Spring, Mantikor, du Schweinehund. Zu meiner Zeit habe ich Großkatzen mit bloßen Händen erwürgt.« Als ich jünger war.
Als ich jung war.
Hinter ihm ertönt Gelächter, und entferntes Lachen hallt, so scheint es zumindest, von den Festungsmauern wider. Er schaut sich um; der Mantikor ist vom Wall verschwunden. Er wird von einer Gruppe kostümierter Jahilier umzingelt, die kichernd vom Jahrmarkt zurückkehren. »Jetzt, da diese Mystiker unsere Lat in die Ar me geschlossen haben, sehen sie hinter jeder Ecke neue Götter, oder etwa nicht?« Hamza, der begreift, dass die Nacht voller Schrecken sein wird, geht nach Hause und verlangt nach seinem kampferprobten Schwert.
»Mehr als alles in der Welt«, knurrt er den zerknitterten Kammerdiener an, der ihm seit vierundvierzig Jahren im Krieg wie im Frieden dient, »hasse ich es, zugeben zu müssen, dass meine Feinde gute Argumente
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