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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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ein freundliches Frauengesicht auf ihn herab und lächelte beruhigend. »Sie werden schon wieder«, sagte die Frau und tätschelte ihm die Schulter. »’Ne leichte Lungenentzündung, mehr haben Sie nicht.« Sie stellte sich als Hyacinth Phillips vor, von Beruf Krankengymnastin. Und setzte hinzu: »Ich beurteile einen Menschen nie nach seinem Äußeren. Nein, mein Herr.
    Denken Sie bloß nicht so was von mir.«
    Mit diesen Worten rollte sie ihn auf die Seite, legte ihm eine kleine Pappschachtel an den Mund, zog ihren weißen Kittel hoch, schleuderte ihre Schuhe weg, sprang gewandt auf das Bett und setzte sich rittlings auf ihn, fast so, als wäre er ein Pferd, mit dem sie gleich mitten durch die Wandschirme reiten wollte, die sein Bett umgaben, und hinaus in weiß Gott was für eine wundersam verwandelte Landschaft. »Anordnung vom Doktor«, erklärte sie. »Dreißig Minuten Behandlung, zweimal täglich.« Und sie begann, ohne weitere Einleitung, rasch und routiniert, mit leicht geballten Fäusten, auf seinen Leib einzutrommeln.
    Für den armen Saladin war dieser tätliche Angriff so kurz nach den Prügeln im Polizeibus der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er begann, sich gegen ihre trommelnden Fäuste zur Wehr zu setzen, und schrie dabei laut:
    » Lasst mich hier raus. Hat irgendjemand meine Frau benachrichtigt?« Diese Ans trengung führte jedoch zu einem zweiten Hustenanfall, der siebzehndreiviertel Minuten dauerte und ihm eine Rüge der Krankengymnastin Hyacinth eintrug.
    »Sie vergeuden nur meine Zeit«, sagte sie. »Ich sollte jetzt mit Ihrer rechten Lunge fertig sein, und stattdessen fange ich gerade erst an. Werden Sie sich jetzt benehmen oder nicht?«
    Sie war rittlings auf ihm sitz engeblieben, hüpfte auf und ab, während sein Körper sich krümmte, wie eine Rodeo-Reiterin, die sich bis zum Neun-Sekunden-Gong festhielt. Da gab er sich geschlagen und ließ zu, dass sie die grüne Flüssigkeit aus seinen Lungen presste . Und als sie fertig war, musste er zugeben, dass er sich ein ganzes Stück besser fühlte. Sie nahm die kleine Schachtel, die jetzt halb voll mit Schleim war, und sagte fröhlich: »Sie werden im Handumdrehen wieder stehen«, und dann wurde sie rot vor Verwirrung und entschuldigte sich:
    »Tut mir leid«, und floh, ohne daran zu denken, die Wandschirme vor seinem Bett zurückzuziehen.
    »Zeit für eine Analyse der Lage«, sagte er sich. Eine schnelle physische Untersuchung ergab, dass seine neue mutierte Verfassung unverändert geblieben war. Dies dämpfte seine Stimmung, und er merkte, dass er halb gehofft hatte, der Alptraum würde enden, während er noch schlief. Er war mit einem ihm unbekannten neuen Pyjama bekleidet, in einer einheitlich hellgrünen Farbe, die sowohl zu dem Stoff der Schirme als auch zu dem passte , was er an Wänden und Decke dieser rätselhaften, anonymen Station sehen konnte. Seine Beine endeten immer noch in diesen schrecklichen Hufen, und die Hörner an seinem Kopf waren genauso spitz wie zuvor…
    aber was ihn dann von dieser unerfreulichen Bestandsaufnahme ablenkte, war die Stimme eines Mannes ganz in seiner Nähe, der unter herzzerreißenden Schmerzen ausrief: »Oh, wenn je ein Leib gelitten hat…!«
    »Was in aller Welt soll denn das?« dachte Chamcha und beschloss , der Sache nachzugehen. Doch jetzt drangen viele andere, ebenso beunruhigende Geräusche an sein Ohr. Es schien ihm, als könne er alle möglichen Tierlaute hören: das Schnauben von Stieren, das S chnattern von Affen, selbst das »Süße-Polly«-Gekreisch von Papageien oder sprechenden Wellensittichen. Dann vernahm er aus einer anderen Richtung das Stöhnen und Schreien einer Frau; es klang, als läge sie in den letzten, schmerzhaften Wehen; und kurz darauf folgte das Geheul eines neugeborenen Babys. Die Schreie der Frau verstummten jedoch nicht, als die des Babys einsetzten, eher schienen sie sogar noch intensiver, durchdringender zu werden, und ungefähr eine Viertelstunde später hörte Chamcha die Stimme eines zweiten Kindes, das sich dem ersten anschloss . Und immer noch wollten die Gebärqualen der Frau nicht enden; alle fünfzehn bis dreißig Minuten, über einen schier unendlichen Zeitraum hinweg, fügte sie der ohnehin unglaublich großen Zahl von Babys ein neues hinzu, ließ sie nacheinander, wie eine siegreiche Armee, aus ihrem Bauch marschieren.
    Seine Nase verriet ihm, dass das Sanatorium oder wie sich der Ort sonst nennen mochte, nun auch noch begann, zum

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