Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
kurz und verliefen immer gleich. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen.
»Sulfia«, sagte ich eines Morgens, »du brauchst einen Mann.«
Sie löste gerade einen Teelöffel Kaffeepulver in ihrer Tasse auf. Jetzt war die Dose fast leer, in zwei Tagen würden wir gar keinen Kaffee mehr haben, wahrscheinlich für längere Zeit. Ich dachte, ich hätte nichts Besonderes gesagt. Aber Sulfia, die ruhige, hässliche, bitter dreinblickende Sulfia, warf ihre Tasse auf den Boden und begann zu schreien.
Sie schrie, dass ich mich nie wieder in ihr Leben einmischen solle, wo ich es schon zerstört hatte, diesmal endgültig, ihr Herz gebrochen, ihr die geliebte kleine Tochter geraubt, ihre Familie weggenommen, die Zukunft zerschlagen und sie an mich gefesselt hatte, und die bemitleidenswerte Aminat dazu.
Es war klar, dass Sulfia am Rande eines Nervenzusammenbruchs war. Deswegen ließ ich ihre Worte nicht an mich heran. In ihren wahnsinnigen Momenten sagte sie manchmal schlimme Sachen. Doch ich war nicht nachtragend.
»Sulfia«, sagte ich liebevoll. »Verstehst du nicht, dass es um Aminat geht? In diesem Land hat sie keine Zukunft mehr. Es wird sie verschlucken und nicht mal ihre Knochen ausspucken. Du musst einen Ausländer finden, Sulfia.«
Sulfia setzte sich auf den Boden, genau neben die Kaffeepfütze mit den Scherben der Tasse, und brach in Tränen aus.
Es war so, dass sie gerade irgendwelche Scheidungspapiere unterschrieben hatte. Rosenbaum hatte sie in aller Freundlichkeit um diesen Schritt gebeten. Er hatte aus ihrem Verhalten gefolgert, dass sie niemals wirklich vorhatte, nachzukommen, er hatte dieHoffnung aufgegeben und sich in eine Emigrantin in Tel Aviv verliebt.
Sulfia unterschrieb alles und gab die Papiere einem Mann, der sich als Abgesandter und Anwalt der Familie Rosenbaum vorgestellt hatte. Er sprach gut Russisch, aber mit einem samtweichen Akzent, und wirkte angenehm überrascht, dass sich alles so einfach gestaltete. Zum Abschied küsste er Sulfia und mir die Hand und sagte, die Rosenbaums hätten nicht vor, jemals wieder einen Fuß auf russischen Boden zu setzen.
Ich betrachtete den Mann vom kahlen Kopf bis zu den teuer beschuhten Füßen und ließ ihn gehen. Er trug einen protzigen, sichtlich neuen Ehering.
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Der komatöse Deutsche
Ich gab mich nicht leicht geschlagen. Ich bat Gott um eine neue Chance für Sulfia. Aminat sollte dort aufwachsen, wo man jederzeit Milch kaufen konnte und nicht nur an Glückstagen. Und dies nicht in der Hitze unter lauter Juden, sondern, zum Beispiel, in Europa.
Gott erhörte mich schneller, als ich erwartet hatte. Genau in diesen Tagen wurde ein Ausländer auf Sulfias Station gebracht. Ein großartiger Ausländer, Anfang vierzig, sauber, im Koma – ein Deutscher.
Ich hörte davon, als sich Sulfia mit Aminat in der Küche über Fremdsprachen stritt. Bald sollte Aminat in die fünfte Klasse kommen und sich zwischen Englisch und Deutsch entscheiden müssen. Aminat sagte, dass Deutsch gar keine Sprache sei, weil kein Mensch sie spreche. Sulfia widersprach: Vor drei Tagen erst sei ein Mann eingeliefert worden, der deutsch sprechen würde, wenn er denn bei Bewusstsein wäre. Ich wurde hellhörig.
»Hat er einen Ehering?« fragte ich sofort.
Sulfia schüttelte den Kopf. Der Deutsche war bewusstlos auf der Straße gefunden worden, offenbar zusammengeschlagen und ausgeraubt, sagte sie. Er hatte keine Brieftasche dabeigehabt, zum Glück aber wenigstens einen Reisepass, möglicherweise hatte man ihm auch den Ehering abgenommen.
»Nein, nein«, sagte ich. »Den Ehering kriegt man nicht so leicht ab. Dafür hätte man ihm schon den Finger abhacken müssen.«
Sulfia rieb sich müde die Schläfen.
»Wie heißt er denn?« fragte ich.
»Dieter Rossmann.«
»Was für ein schöner Name!« sagte ich. »Und du pflegst ihn? Und hat er dir schon was gesagt?«
»Ich sag doch, er ist nicht bei Bewusstsein, Mutter.«
»Sulfia«, sagte ich. »Das ist deine letzte Chance.«
Dieser komatöse Deutsche hat unsere Familie wiederbelebt. Wir hatten wieder ein Thema. Ich fragte Sulfia jeden Tag, wie es ihm ging. Erst winkte sie genervt ab, dann fing sie an, von ihm zu erzählen. Sie machte sich immer Sorgen um ihre Patienten. Dieter schien in unserer Stadt ganz allein zu sein, niemand hatte ihn gesucht, es war nicht einmal klar, ob er in irgendeinem Hotel oder privat untergekommen war und was er hier überhaupt wollte.
»Wenn er aufwacht, musst du unbedingt in seiner Nähe sein«,
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