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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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kein Deutsch konnte. Sie hatte immer so ein Gesicht, als verstünde sie kein Wort. Aber das war trügerisch.
    Einmal kam ich nach Hause und hörte sie wütend schreien. Ich hatte Sorge, sie hätte Dieter was angetan, und rannte daher sofort zu ihrem Zimmer. Er war aber zum Glück nicht verletzt. Sein erschrecktes Gemurmel legte sich wie eine zweite Tonspur unter Aminats Geschrei. Ich blieb vor der Tür stehen und lauschte. Ich verstand nur wenige Worte. Den Sinn verstand ich nicht. Aminat schimpfte auf Deutsch, in langen, gewundenen Sätzen. Sie sprach nicht nur besser als ich, sie sprach Welten besser. Sie sprach wie die deutschen Kinder. Ich hatte das gar nicht gemerkt.
    Als ich reinkam, hielten beide inne. Aminat drehte mir den Rücken zu und begann, auf der Tastatur von Dieters Computer herumzuhämmern.
    »Was ist los?« fragte ich.
    »Nichts«, sagte Aminat wütend.
    »Alles in Ordnung«, sagte Dieter.
    »Wann kommt Sulfia?« fragte Aminat. Mich. Auf Deutsch!
    »In vier Tagen«, sagte ich. Das bedeutete, dass ich eine Woche später nach Russland flog. Dieter zahlte mir das Ticket, dafür beteiligte ich mich an den Ausgaben im Haushalt. Ich kaufte mir auch meine Kleider selber. Inzwischen kannte ich ein paar Läden, in denen ich günstig einkaufen konnte.Dort wurden getragene Sachen kiloweise verkauft und kosteten fast nichts. Und wenn man lange genug suchte, fand man auch schöne. Am Anfang hatte ich mich noch davor geekelt, doch inzwischen ging ich fast jeden Tag in einen der Läden und guckte, ob was Neues reingekommen war.
    Viele Frauen in Deutschland achteten nicht auf ihr Aussehen, sodass es mir leichtfiel, sie auszustechen. Man hätte auf eine beliebige Frau auf der Straße zeigen können – ich war schöner angezogen als sie, besser geschminkt und hatte eine aufregendere Figur, die ich vorteilhafter zur Geltung brachte als die meisten jungen Mädchen hier.
    »Endlich bist du weg«, sagte Aminat. Auf Deutsch. Zu mir.
    Aber Sulfia kam nicht. Zwei Tage vor der geplanten Anreise rief sie an. Ich hatte schon geahnt, dass sie Probleme bekommen würde. Sie konnte nicht so brillant Dokumente sammeln wie ich. Sie ließ sich zu schnell einschüchtern und abwimmeln. Ich hatte ihr zwanzig Tafeln Schokolade, Vollmilch mit Haselnüssen, mitgegeben, damit sie diese den Beamten im geeigneten Moment überreiche. Aber Sulfia fand es peinlich. Deswegen dachte ich, als ich Sulfias Stimme im Telefon hörte, dass sie mich auf die Arbeit vorbereiten wollte, die mir noch bevorstand. Aber es war anders. Sulfia sagte, Kalganow habe vorgestern einen Schlaganfall erlitten.
    »Und?« rief ich aus und begann, mich hastig an das russische Erbrecht zu erinnern. Wir waren ja immer noch nicht geschieden, Kalganow und ich.
    »Ihm geht es nicht so gut«, sagte Sulfia.
    »Wie, er lebt? Und wenn er bis jetzt nicht gestorben ist, dann wird er wohl erst mal weiterleben?« fragte ich.
    »Das ist möglich«, sagte Sulfia, die Fachfrau.
    Was ich dann hörte, konnte ich kaum glauben. Sulfia rief an, um zu sagen, dass sie nicht nach Deutschland kommen konnte, weil sie vorhatte, sich um ihren Vater zu kümmern. Die Zustände in den Krankenhäusern waren inzwischen so erschreckend, dass man einen lebenden Angehörigen dort nicht lassen konnte, das wusste sie als Mitarbeiterin des Gesundheitswesens.
    »Was?« schrie ich. »Spinnst du jetzt komplett? Er hat mich sitzen gelassen und dich auch! Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
    Sulfia war dumm, und ich konnte absolut nichts dagegen tun. Es lag nicht in meiner Macht, nach Hause zu fliegen und sie an den Haaren zum Flughafen zu schleifen. Das bedeutete, dass ich nun doch in Deutschland bleiben musste.
    Ich konnte Aminat schließlich nicht allein bei Dieter lassen. Wenn sie ihn für irgendetwas, was ihr nicht passte, erstechen sollte, und sei es aus Versehen, dann konnten wir das mit der Heirat und der Einbürgerung ganz vergessen.

[Menü]
    Eine zweite Sulfia
    Dieter war nicht sehr traurig darüber, dass Sulfia nicht kam. Das sah ich ihm an. Mutmaßlich bedauerte er aber, dass ich immer noch da war. In den ersten Wochen telefonierte ich häufig mit Sulfia. Immerhin gelang es ihr, eine Mieterin für ihre und Aminats Wohnung zu finden. Ich leitete Sulfia übers Telefon an – sie sollte darauf achten, dass die Mieterin in der Wohnung nicht rauchen, nicht trinken und keine Feste mit mehr als zehn Personen feiern durfte. Sulfia erstattete mir Bericht über Kalganows Gesundheitszustand. Er lag im Bett,

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