Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
Sache keine Kontrolle mehr und sie sei nicht bereit, James Gillespies Forderungen zu erfüllen. Es sei ihr inzwischen völlig gleichgültig, was die Leute von ihr dächten oder sagten. Es habe nie auch nur den geringsten Zweifel an Gerald Cavendishs Selbstmord gegeben, und wenn Mrs. Marriott jetzt bekennen wolle, dass sie ihrem Vater Schlafmittel gestohlen habe, so sei das ihre Sache. Sie jedenfalls - Mrs. Gillespie, meine ich - würde bestreiten, irgendetwas darüber zu wissen.« Er klappte sein Heft auf. » Ich bin ein Mensch, an dem man mehr gesündigt, als er sündigte , hat sie gesagt und Mrs. Marriott erklärt, was das Kind anginge, so würde erst mal alles noch viel schlimmer werden. Sie sagte Mrs. Marriott, es sei töricht von ihr gewesen, ihrem Mann nie etwas von dem Kind zu sagen. Danach kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, bei der Mrs. Marriott Mrs. Gillespie beschuldigte, das Leben aller Menschen zerst ört zu haben, mit denen sie je in Berührung gekommen sei. Daraufhin habe Mrs. Gillespie ihr mit den Worten die Tür gewiesen: James hat meine privaten Aufzeichnungen gelesen und weiß, wo das Kind ist. Es ist völlig sinnlos, die Geschichte noch länger zu verschweigen. Dann sagte sie Mrs. Marriott noch, dass es ein Junge gewesen sei und sie das Kind zur Adoption freigegeben habe.« Er klappte sein Heft wieder zu. »Ich wette, die privaten Aufzeichnungen waren die Tagebücher, und als sie sagte, was das Kind anginge würde alles noch schlimmer werden, meinte sie wohl, dass sie sich entschlossen hatte, ihr uneheliches Kind anzuerkennen und James Gillespie einen Strich durch seine Rechnung zu machen.« Er rieb sich müde das Kinn. »Leider hilft uns das auch nicht viel weiter. Wir waren ja vorher schon zu dem Schluss gekommen, dass die Person, die die Tagebücher gelesen hat, sie auch gestohlen und Mrs. Gillespie getötet hat. Ich bin immer noch der Meinung, dass James Gillespie uns nicht auf die Tagebücher aufmerksam gemacht hätte, wenn er der Schuldige ist. Das stimmt psychologisch einfach nicht. Und was für einen Grund hätte er denn gehabt, sie zu töten? Sie war ihm doch lebend, als Zielscheibe seiner Erpressungsversuche, viel nützlicher. Die Geschichte mit dem Kind war bestimmt nicht das einzige Druckmittel, das er gegen sie in der Hand hatte; er wusste auch von dem Mord an ihrem Onkel.«
    »Aber den hätte er ihr wahrscheinlich nie nachweisen können, jedenfalls nicht nach so langer Zeit, und Sie stellen mir zu viele Vermutungen an«, sagte Charlie Jones bedächtig. » Ich bin ein Mensch, an dem man mehr gesündigt, als er sündigte «, sprach er nach. »Das ist aus dem Lear.«
    »Und?«
    »König Lear wurde verrückt und irrte mit Blumen und Kränzen geschmückt auf den Feldern von Dover umher, weil seine Töchter ihm sein Königreich und sein Ansehen geraubt hatten.«
    Cooper st öhnte. »Ich dachte, Ophelia hätte den Kranz getragen.«
    »Sie trug ein Laubgewinde «, korrigierte Jones pedantisch. »Die Kränze hat Lear getragen.« Er dachte an die Inschrift auf dem Grabstein in Fontwell. »Weiß Gott, Tommy, die Symmetrie ist erstaunlich. Jack Blakeney hat ein Stanley-Messer benützt, um Grabinschriften in Fontwell zu säubern.«
    Cooper warf ihm einen argw öhnischen Blick zu. »Wie viel Bier haben Sie schon intus?«
    Charlie Jones beugte sich wieder vor und starrte Cooper mit scharfem Blick ins Gesicht. »Ich hab den König Lear in der Schule durchgenommen. Ein phantastisches Stück. Da geht's um das Wesen der Liebe, den Missbrauch von Macht und die Schwachheit der Menschen.«
    »Genau wie im Hamlet«, sagte Cooper sauer. »Und im Othello auch.“
    »Natürlich. Lauter Tragödien, die unweigerlich mit dem Tod enden mussten. König Lears Fehler war es, dass er das Wesen der Liebe verkannte. Er gab Worten mehr Gewicht als Taten und vergab sein Königreich an die beiden Töchter, Goneril und Regan, von denen er glaubte, sie liebten ihn, die ihn aber in Wirklichkeit verachteten. Er war ein müder alter Mann, der die Last der Staatsgeschäfte ablegen wollte, um den Rest seines Lebens in Frieden und Beschaulichkeit zu verbringen. Aber er war auch über die Maßen arrogant und achtete keine andere Meinung als seine eigene. Mit seiner irrigen Überzeugung, er wüsste, was Liebe ist, legte er die Saat zur Vernichtung seiner Familie.« Charlie Jones lachte. »Nicht schlecht, was? Praktisch Wort für Wort aus einem Aufsatz, den ich in der sechsten Klasse geschrieben habe. Und damals hab ich das

Weitere Kostenlose Bücher