Die Schandmaske
gebaut.«
Jones fing Coopers Blick auf, ignorierte jedoch das warnende Stirnrunzeln. Wie Cooper gesagt hatte, bestand kaum eine M öglichkeit, Jane Marriotts vertrauliche Informationen geheimzuhalten. »Wir wissen es von Mrs. Jane Marriott, deren Ehemann der Vater des Jungen war.«
»Ah, eine sehr zuverlässige Quelle also.« Er sah den Schimmer der Erregung im Auge des Inspectors und lächelte mit echter Erheiterung. »Mathilda Gillespie war nicht meine Mutter, Inspector. Ich wäre hingerissen gewesen, wenn sie es gewesen wäre. Ich hab die Frau geliebt.«
Charlie Jones zuckte die Achseln. »Dann hat Mrs. Gillespie gelogen, als sie sagte, das Kind sei ein Sohn gewesen. Dann ist eben Ihre Frau Cordelia. Einer von Ihnen beiden muss es sein, sonst hätte sie nicht dieses Testament gemacht. Sie wollte Lears Fehler nicht wiederholen und ihr Vermögen den nichtswürdigen Töchtern hinterlassen.«
Jack schien wieder sprechen zu wollen, dann jedoch zuckte er die Achseln. »Ich vermute, Mathilda hat Jane Marriott gesagt, es sei ein Junge, weil sie sie damit ärgern wollte. Sie nannte sie nie bei ihrem Namen, sondern sprach immer nur von dieser spießigen Person in der Praxis . Es war grausam von ihr, aber Mathilda war eben häufig grausam. Sie war eine zutiefst unglückliche Frau.« Er machte eine Pause, um seine Gedanken zu ordnen. »Sie erzählte mir von ihrer Affäre mit Paul, nachdem ich ihr Porträt fertig hatte. Sie sagte, in dem Gemälde fehle etwas, die Schuldgefühle nämlich. Sie war gepeinigt von Schuldgefühlen - weil sie das Kind weggegeben hatte, weil sie nicht fähig gewesen war, die Situation zu meistern, weil sie Joannas Tränen die Schuld an ihrem Entschluss gab, das Kind wegzugeben, letztlich, vermute ich, weil sie nicht fähig war zu lieben.« Wieder schwieg er einen Moment. »Dann erschien wie aus heiterem Himmel Sarah, und Mathilda erkannte sie.« Er sah die Ungläubigkeit in Charlie Jones' Gesicht. »Nicht sofort und nicht als das Kind, das sie weggegeben hatte. Es ging ganz allmählich, im Lauf der Monate. Es gab so viele Übereinstimmungen. Sarah hatte das richtige Alter, sie hatte am selben Tag Geburtstag wie das weggegebene Kind, ihre Eltern hatten im selben Teil Londons gelebt, in dem Mathilda ihre Wohnung hatte. Vor allem aber glaubte sie bei Sarah Eigenheiten zu entdecken, die auch Joanna auszeichneten. Sie sagte, sie hätten das gleiche Lächeln, die gleiche Art, den Kopf zu neigen, die gleiche Art, einen unverwandt anzusehen, wenn man sprach. Und Sarah nahm Mathilda von Anfang an so, wie sie da war, wie sie das ja mit jedem tut, und zum ersten Mal seit Jahren fühlte Mathilda sich gewürdigt. Das alles zusammen ergab natürlich einen berauschenden Cocktail. Mathilda war so überzeugt, ihre verloren geglaubte Tochter wiedergefunden zu haben, dass sie an mich herantrat und mir den Auftrag gab, ihr Porträt zu malen.« Er lächelte mit leichter Ironie. »Ich glaubte, meine Kunst würde endlich anerkannt, aber sie suchte natürlich nur nach einem Vorwand, um von dem einzigen Menschen am Ort, der Sarah intim kannte, mehr über sie zu erfahren.«
»Aber das wussten Sie nicht, während Sie sie malten?«
»Nein. Es wunderte mich allerdings, dass sie sich so eingehend für uns beide interessierte. Sie wollte wissen, was für Menschen unsere Eltern waren, woher sie stammten, ob wir Geschwister hätten, ob ich mich mit meinen Schwiegereltern verstünde. Mit anderen Worten, sie beschränkte ihre Fragen nicht nur auf Sarah. Hätte sie es getan, so hätte ich vielleicht Verdacht geschöpft. So aber war ich wie vor den Kopf geschlagen, als sie mir schließlich sagte, Sarah sei ihr verlorenes Kind.« Er zuckte hilflos die Achseln. »Ich wusste, dass sie es nicht sein konnte, denn Sarah war nicht adoptiert worden.«
»Aber das war doch sicher das erste, wonach Mrs. Gillespie Sie fragte?«
»Direkt nicht, nein. So direkte Fragen hat sie nie gestellt.« Angesichts der Skepsis des Inspectors zuckte er wiederum die Achseln. »Sie vergessen, dass von diesem Kind kein Mensch in Fontwell wusste, außer Jane Marriott, und Mathilda war viel zu stolz, um sich vor dem Dorf die Blöße zu geben. Sie wollte eine private Aussöhnung, keine öffentliche. Am weitesten wagte sie sich vor, als sie mich einmal fragte, ob Sarah zu ihrer Mutter eine gute Beziehung h ätte. Ich sagte nein, die beiden hätten nichts gemeinsam. Ich kann mich sogar noch an den Wortlaut meiner Antwort erinnern. Ich sagte: Ich hab mich oft
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