Die Schandmaske
Schreckliche ist, dass ich auch noch gelacht habe. Sogar diese Freiheit gebe es nicht mehr, habe ich ihr erklärt, weil die Ärzte eine derart verdammte Angst vor Strafverfolgung haben, dass es ihnen nicht einfallen würde, einem Patienten die Wahl zu lassen.«
Der Polizeibeamte, ein gro ßer Detective, der sich dem Rentenalter näherte, legte ihr tröstend die Hand auf den Arm. »Nun machen Sie sich mal keine Gedanken. Sie ist an den aufgeschnittenen Pulsadern gestorben, nicht an den Schlaftabletten. Und es spricht sowieso einiges dafür, dass wir es hier mit einem Mord zu tun haben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe einige Selbstmorde gesehen, aber eine alte Frau, die sich in ihrer eigenen Badewanne zum Blumenarrangement stilisiert, ist mir noch nie untergekommen. Da steckt garantiert Geld dahinter. Wir leben alle zu lange, da werden die Jungen ungeduldig.« Sarah hatte den Eindruck, dass er aus Erfahrung sprach.
Dr. Cameron äußerte sich eine Stunde später skeptischer. »Wenn sie es nicht selbst getan hat«, sagte er, »dürfte es eine harte Nuss werden, das zu beweisen.« Sie hatten die Tote aus der Badewanne gehoben, und sie, noch immer mit dem schrecklichen Käfig um den Kopf, auf eine Plastikplane auf dem Boden gelegt. »Abgesehen von den Schnittwunden an den Handgelenken ist sie völlig unversehrt. Wir haben nur die üblichen Veränderungen.« Er wies auf die Leichenflecken über dem runzligen Gesäß und darum herum. »Eine gewisse Blutstauung, aber keine Blutergüsse. Arme Person. Sie hat sich überhaupt nicht gewehrt.«
Sergeant Cooper stemmte sich gegen den Pfosten der Badezimmert ür, einerseits unfähig, sich dem Anblick des grauen toten Körpers zu entziehen, andererseits zutiefst abgestoßen von ihm. »Das konnte sie auch nicht, wenn sie betäubt war«, murmelte er.
Cameron zog seine Handschuhe aus. »Mal sehen, was ich im Labor noch für Sie herausfinden kann, aber ich würde Ihnen raten, nicht zu viel zu erwarten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Chef Lust hat, viel Zeit und Arbeit an diesen Fall zu verschwenden. Er ist mit das Eindeutigste, was ich gesehen habe. Offen gesagt, wenn sich bei der Obduktion nicht etwas ziemlich Ungewöhnliches zeigt, werde ich empfehlen, die Sache als Selbstmord zu behandeln.«
»Aber was sagt Ihnen Ihr Gefühl, Doktor? Meins sagt mir, dass es Mord war. Wegen der Brennnesseln. Weshalb hätte sie sich vor ihrem Tod diesen Schmerz antun sollen?«
»Selbstbestrafung wahrscheinlich. Guter Gott, diese Handlungen haben keine Logik, mein Lieber. Selbstmörder sind wohl kaum bei Verstand, wenn sie sich das Leben nehmen. Trotzdem «, sagte er nachdenklich, »wundert es mich, dass sie keinen Brief hinterlassen hat. Dieser entsetzliche Kopfschmuck hat etwas so Theatralisches, dass ich eine Erklärung erwartet hätte.« Er begann, die Plastikplane um die Leiche zu schlagen. »Lesen Sie Hamlet«, sagte er. »Da wird sich, vermute ich, die Antwort finden.«
Mr. und Mrs. Spede geisterten wie zwei dicke kleine Gespenster in der Bibliothek herum, so unangenehm und verschlagen im Aussehen, dass Cooper sich fragte, ob sie ganz normal seien. Keiner von beiden schien fähig, seinem Blick zu begegnen, und jede Frage erforderte schweigende Absprache zwischen ihnen, bevor einer eine Antwort gab.
»Dr. Blakeney hat mir erzählt, dass Mrs. Gillespie eine Tochter hat, die in London lebt, und eine Enkelin im Internat«, sagte er. »Können Sie mir die Namen angeben und mir sagen, wo ich sie erreichen kann?«
»Sie hat ihre Papiere immer tadellos in Ordnung gehabt«, sagte Mrs. Spede, nachdem sie von ihrem Mann die stillschweigende Erlaubnis zum Sprechen erhalten hatte. »Es steht alles in ihren Papieren.« Sie wies mit dem Kopf zum Schreibtisch und einem Aktenschrank aus Eichenholz. »Da drin irgendwo. Sehr ordentlich war sie. Sehr ordentlich, ja.«
»Kennen Sie denn nicht den Namen ihrer Tochter?«
»Mrs. Lascelles«, antwortete der Mann nach einer kleinen Pause. »Joanna.« Er zupfte an seiner Unterlippe, die herabhing, als würde ständig an ihr herum gezupft. Mit einem gereizten Stirnrunzeln schlug ihm seine Frau aufs Handgelenk, und er schob die ungehörige Hand in seine Tasche. Sie waren sehr kindlich, dachte Cooper und überlegte, ob Mrs. Gillespie sie aus Mitleid eingestellt hatte.
»Und der Name der Enkelin?«
»Miss Lascelles«, antwortete Mrs. Spede.
»Und wie heißt sie mit Vornamen?«
»Ruth.« Unter gesenkten Lidern hervor beriet sie sich mit ihrem Mann.
Weitere Kostenlose Bücher