Die Schandmaske
ablehnen können, nicht wahr?
»Das stimmt, wo Sie doch das ganze Geld geerbt haben«, war Mrs. Hendersons wohlüberlegte Antwort, doch ihre Augen verrieten Verwunderung. »Dann geht Ruth wieder nach Southcliffe, wenn sie gesund ist?«
»Aber ja, wohin denn sonst«, sagte Sarah, ohne rot zu werden. »Wie ich schon sagte, sie steht kurz vor ihrer Abschlussprüfung.«
»Also so was! Da werden ja ganz schöne Lügen erzählt. Aber wer hat denn dann Mrs. Gillespie umgebracht, wenn Sie's nicht waren und die Tochter auch nicht?«
»Das weiß der liebe Gott, Mrs. Henderson.«
»Ja, der wird's wissen. Eine Schande, dass er niemanden ins Vertrauen zieht. Er macht doch nichts als Ärger, indem er's für sich behält.“
»Vielleicht hat sie sich selbst das Leben genommen.«
»Niemals!« erklärte die alte Frau mit Überzeugung. »Das glaub ich nie. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie besonders gemocht hab, aber ein Feigling war Mrs. Gillespie nicht.«
Sarah wusst e, dass Joanna im Haus war, auch wenn auf ihr Läuten alles still blieb. Sie hatte das starre weiße Gesicht in den dämmerigen Tiefen des Esszimmers gesehen und auch das flüchtige Aufblitzen des Erkennens, ehe Joanna in den Flur hinausgeschlüpft und verschwunden war. Mehr als die Weigerung zu öffnen, war es dieses blitzartige Erkennen, das Sarah ärgerte. Es ging hier um Ruth, nicht um Mathildas Testament oder Jacks Eskapaden; sie hätte vielleicht noch verstehen können, dass Joanna keine Lust hatte, der Polizei zu öffnen, aber dass sie sich vor der Person verbarrikadierte, von der sie wusste, dass sie ihre Tochter aufgenommen hatte, das konnte sie nicht verzeihen. Mit grimmiger Entschlossenheit machte sie sich auf den Weg um das Haus herum nach hinten. Was war das für eine Frau, die persönliche Feindschaft über die Sorge um das Wohlergehen ihrer Tochter stellte?
Sie sah das Portr ät vor sich, an dem Jack arbeitete. Er hatte Joanna in einem dreikantigen Prisma aus Spiegeln eingefangen, durch die ihre Persönlichkeit aufgespalten wurde wie gebrochenes Licht. Es war eine ungewöhnliche Darstellung schillernder Identität, um so mehr als all diese Bilder in einem einzigen Bild aufgingen, das von dem großen, alles umfassenden Spiegel rund um den Rand des Gemäldes zurückgeworfen wurde. Sarah hatte ihn gefragt, wofür dieses eine Bild stand. »Joanna, wie sie gesehen werden möchte. Bewundert, geliebt, schön.«
Sie wies auf die Prismenbilder. »Und die da?«
»Das ist die Joanna, die sie mit Drogen unterdrückt«, erklärte er. »Die hässliche, ungeliebte Frau, die von Mutter, Ehemann und Tochter zurückgewiesen wurde. Alles in ihrem Leben ist Illusion, darum das Spiegelthema.«
»Wie traurig.«
»Werd mir jetzt bloß nicht sentimental, Sarah. Joanna ist die egozentrischste Frau, die ich kenne. Ich vermute, die meisten Süchtigen sind so. Sie sagt, Ruth hätte sie zurückgewiesen. Das ist Quatsch. Joanna hat Ruth zurückgewiesen, weil Ruth jedes Mal, wenn sie sie hochnahm, geweint hat. Es war ein Teufelskreis. Je mehr ihr Kind weinte, desto weniger konnte sie es lieben. Sie hat behauptet, Steven hätte sie zurückgewiesen, weil ihre Schwangerschaft ihn abstieß, aber schon im nächsten Satz gab sie zu, dass sie es nicht aushalten konnte, welches Aufheben er um Ruth machte. Ich denke, sie war es, die ihn zurückgewiesen hat.«
»Aber warum? Es muss doch einen Grund dafür geben.«
»Ich vermute, der Grund ist sehr einfach. Der einzige Mensch, den sie liebt oder lieben kann, ist sie selbst, und weil ihr dicker Bauch sie in ihren eigenen Augen wenig attraktiv machte, nahm sie das den beiden Menschen, die daf ür verantwortlich waren, übel - ihrem Mann und ihrem Kind. Ich wette, sie war die einzige, die die Schwangerschaft abstoßend fand.«
»Nein, Jack, ganz so einfach sind die Dinge nie. Es könnte etwas sehr Schwerwiegendes dahinterstecken. Unbehandelte postnatale Depression; eine narzisstische Störung. Sogar Schizophrenie. Vielleicht hatte Mathilda recht, und sie ist wirklich labil.«
»Kann schon sein, aber wenn es so ist, dann war das allein Mathildas Schuld. Nach allem, was ich gehört habe, hat sie sich Joanna und ihrem Theater vom ersten Tag an unterworfen.« Er wies auf das Gemälde. »Als ich sagte, dass alles in ihrem Leben Illusion ist, meinte ich, es ist alles unecht. Das hier ist eine Phantasie, die sie einen glauben machen möchte, aber ich bin fast sicher, dass sie selbst nicht an sie glaubt.«
Er legte den Zeigefinger auf
Weitere Kostenlose Bücher