Die scharlachrote Spionin
sei keinerlei Bedenken hegte, den Flug ins Unbekannte zu wagen, hätte sie nichts dagegen, Marco in der Nähe zu wissen, um ihr den Rücken freizuhalten. Aber der hatte ihr heute früh eine Nachricht geschickt: Er war gebeten worden, Familligi in die Spielhölle in Seven Dials zu begleiten. Es kam nicht infrage, seine Pläne jetzt noch über den Haufen zu werfen.
Natürlich würde sie das Haus gut bewaffnet verlassen. Eine kleine italienische Pistole in ihrer Rocktasche, ein Stilett an die Wade gebunden, zusammen mit einem indischen Wurfstern, der als Haarnadel verborgen in ihrer Frisur steckte. Seide und Stahl. Damit sollte sie keine Schwierigkeiten haben, ihre Arbeit zu erledigen.
Im Schatten der Gartenmauer beobachtete Osborne, wie De Winton die Treppe zu Sofias Stadthaus hinuntereilte und zu Fuß in Richtung Park verschwand. Eine düstere Vorahnung prickelte ihm über den Rücken. Die Scarlet Knights ließen sich nur selten am helllichten Tage blicken. Reiner Zufall? Das bezweifelte er. Vielmehr sah er seinen Verdacht bestätigt, dass Sofia ihn in die Irre geführt hatte.
Doch er war bereit, wieder ins rechte Gleis zurückzufinden.
Er verließ sein Versteck, zwängte sich in die schmale Gasse zwischen den Stallungen und ließ eine Klinge in das Schloss des Gatters zu Sofias Garten gleiten. Mit einem Dreh knackte er den eisernen Riegel, sodass das Eichenholz sich einen Spalt breit öffnete. Er folgte dem Weg an der Ligusterhecke, die zur Terrasse auf der Rückseite des Hauses führte, an der dicke Efeuranken am Giebel emporkletterten.
Als er sich in ihr Schlafzimmer geschlichen hatte, hatte er einen schmalen steinernen Vorsprung unter den Fenstern entdeckt, der sich über die Länge des Hauses hinzog. Es lag zwar schon eine Weile zurück, dass er die Klippen in der Nähe von Badajoz erklommen hatte, aber schließlich befand er sich noch nicht im Ruhestand. Langsam bahnte er sich den Weg durch das gewundene Grünzeug und schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel, dass die untergehende Sonne den Garten in einen Schatten hüllte.
Der Tag war immer noch warm, und mit etwas Glück stand das Fenster zu Sofias Zimmer noch offen ...
»Die purpurrote Seide, Mylady?« Die Frage der Zofe klang hell wie ein Glöckchen. »Sind Sie wirklich sicher? Wenn die Sache schiefgeht, können Sie sich damit nicht tarnen.«
Osborne hörte Sofia lachen. »Wenn die Sache schiefgeht, werde ich es wahrscheinlich nicht einmal bis hinaus auf die Straße schaffen. Aber wir sollten zuversichtlich bleiben ... Rot ist viel verlockender als Indigo, und weil ich vorhabe, den Feind zu einem entscheidenden Fehler zu verführen, werde ich diese Gelegenheit nutzen.«
Was ihre Pläne betraf, hatte er sich also nicht geirrt.
»Sehr wohl, Mylady! Aber zur Vorsicht muss ich wissen, wohin Sie gehen, damit ich die Information an Lord Lynsley weiterleiten kann.«
»Einverstanden«, erwiderte Sofia. »De Winton hat einen Ort namens Paradise in Southwark erwähnt. Weitere Informationen findet der Marquis in meinen Notizen, die im Geheimfach meiner Schreibtischschublade versteckt sind. Der Schlüssel liegt unter dem Samtkissen in meinem Schmuckkästchen.«
Im Paradise. Osborne waren bereits Gerüchte über diese exotische Opiumhöhle ans Ohr gedrungen, die nicht schwer zu finden sein würde.
»Falls es notwendig sein sollte, werde ich ihn benachrichtigen«, meinte die Zofe. »Bitte zappeln Sie nicht so herum, Mylady! Wenn wir Sie bis acht Uhr ausgehfertig haben wollen, müssen wir uns zügig an die Arbeit machen.«
»Verzeihen Sie, Rose! Es fällt mir schwer, still zu sitzen, jetzt, wo die Zeit zum Handeln endlich in greifbare Nähe rückt.«
»Ich verstehe.« Osborne hörte, wie Metall auf Metall klickte. »Ich nehme an, dass Sie Ihre Pistole mitnehmen?«
»Ja, zusammen mit mehreren Klingen«, bestätigte Sofia. »Ich möchte ein paar Waffen zur Auswahl haben ...«
Osborne hatte genug gehört und begann, seine Stellung unter dem Fensterkreuz zu verlassen.
»Was war das?« Sofias Stimme klang ein wenig höher. »Ich habe gehört, wie sich draußen etwas geregt hat.«
»Kein Zweifel, nur eine Taube«, beschwichtigte Rose. »Halten Sie still! Ich arbeite gerade mit den geschmiedeten Stahlhaarnadeln, nur für den Fall, dass Sie ein Schloss knacken müssen.«
»Ich habe doch meinen Schlüssel«, erwiderte Sofia lächelnd. »Wir wollen hoffen, dass er mir das Tor öffnet, um die bösartigen Machenschaften ein für allemal zu beenden.«
Osborne
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