Die scharlachrote Spionin
konzentrierte sie sich wieder auf ihre Befehle. »Der Plan sieht vor, dass ich andeuten soll, das Leben als junge Witwe sei ein wenig langweilig und dass ich einem kleinen Abenteuer gegenüber nicht abgeneigt bin.«
»Stimmt genau. Von diesem Zeitpunkt an sind Sie gehalten, Ihre weiteren Schritte selbst zu planen. Sie müssen Lord Robert Woolseys Tagebuch lesen. Lord Lynsley möchte nicht nur wissen, ob der Großsohn des Duke of Sterling das Opfer eines falschen Spiels gewesen ist, sondern auch, ob die Hinweise auf Korruptionsfälle in der Regierung stichhaltig sind.«
Die Direktorin schien sich einen Moment lang in die Neige ihres Tees vertieft zu haben, ganz so, als ob ein letzter Ratschlag in den Blättern verborgen sei. »Vermeiden Sie jeden Fehler, meine Liebe! Die Aufgabe ist sehr herausfordernd. Und sehr gefährlich. Bedauerlicherweise kann ich Ihnen nicht mehr Informationen darüber geben, wonach Sie eigentlich suchen sollen. Nach Ihrer Ankunft in der Stadt wird Lord Lynsley Ihnen noch ein paar Einzelheiten mitteilen. Danach müssen Sie sich ganz allein auf Ihre eigenen Instinkte verlassen.«
Noch ein versteckter Hinweis darauf, dass ich niemandem als mir selbst vertrauen darf?
»Ich verstehe.«
Der Schuldiener klopfte brüsk an die Tür. »Die Kutsche ist beladen und wartet, Ma'am.«
Sofia erhob sich. »Höchste Zeit zum Aufbruch.«
Osborne stellte fest, dass Lynsley bereits im Foyer des White's auf ihn wartete, und verzichtete darauf, den Übermantel auszuziehen. Der Marquis war pünktlich - bedauerlich angesichts der Tatsache, dass der Club einen der besten Portweine in der Stadt kredenzte.
»Danke, dass Sie die Verabredung eingehalten haben, Osborne!«, begrüßte ihn der Marquis. »Meine Kutsche wartet.«
Osborne geduldete sich mit seiner Frage, bis sie es sich beide in den Polstern bequem gemacht hatten. »Ich gestehe, dass ich neugierig bin, Lynsley. Warum ausgerechnet ich?«
Der Marquis zögerte mit der Antwort. »Wer die Cliquen in London nicht kennt und mit Gepflogenheiten in der Stadt nicht vertraut ist, auf den kann sie sehr abschreckend wirken. Sie bewegen sich mit Leichtigkeit in sämtlichen Kreisen der Gesellschaft, während es einem Fremden sehr schwerfallen würde, durch all die verborgenen Strömungen und Untiefen zu navigieren. Ich hoffe, dass Ihr Charme und Ihre Verbindungen helfen werden, Lady Sofia den Weg zu ebnen.«
Sofia. Das ist ein schöner Name.
»Aber Ihre eigene Stellung in der Gesellschaft würde doch auch garantieren, dass die Lady zu jeder Soiree eingeladen wird, die eine Einladung wert ist«, bemerkte Osborne.
»Meine gegenwärtigen Verpflichtungen erlauben es nicht, dass ich in den kommenden Monaten viel Zeit in der Gesellschaft verbringe. Und die Contessa darf nicht ohne Begleitung bleiben, wenn wir unerwünschtes Geschwätz vermeiden wollen.«
»Ich fürchte, dass Sie meinen Einfluss auf die Gesellschaft überschätzen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Sie andere Menschen kennen, die über mehr Macht und Ansehen verfügen als ich. Schließlich bin ich nicht mehr als der jüngste Sohne eines Marquis.«
»Das ist wahr. Aber Macht und Ansehen haben die Neigung, Feinde zu schaffen.« Der Marquis warf ihm einen Seitenblick zu. »Soweit zu hören war, haben Sie keine nennenswerten Feinde.«
Osborne spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg. Obwohl Lynsley keinesfalls ein älterer Gentleman war - er schien kaum älter als vierzig zu sein - fühlte er sich wie ein kleiner Junge, der gerade von seinem Schulmeister examiniert wurde.
»Verstehe. Nun, dann erzählen Sie mir ein wenig über die Lady«, entgegnete er und wechselte rasch das Thema.
»Wie ich bereits erwähnte, handelt es sich um die Witwe eines italienischen Grafen«, erläuterte Lynsley, »Ihr Vater hingegen kam aus England, und sie brennt darauf, einige Zeit in dem Land zu verbringen, aus dem ihre Vorfahren stammen.«
Osborne runzelte die Stirn. »Warum kümmert die Verwandtschaft sich nicht um ihre Einführung in die Gesellschaft?«
Lynsley zögerte nicht eine Sekunde. »Der Vater hatte sich von der Familie entfremdet. Sie selbst hat niemals irgendwelche Verbindungen gepflegt und hegt nicht den Wunsch, sich zu versöhnen.«
»Und wie, wenn ich fragen darf, haben Sie die Bekanntschaft der Lady gemacht?«
Wieder antwortete der Marquis, ohne zu zögern. »Ich kenne die junge Lady seit der Zeit, als sie noch ein Kind gewesen war. Meine diplomatischen Reisen haben es mir erlaubt, über die Jahre in
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