Die scharlachrote Spionin
unendlich viel über diese Dinge zu lernen habe.«
Die Antwort schien ihm zu gefallen. »Dann müssen Sie mich demnächst besuchen und sich meine Sammlung ansehen. Der größte Teil ist im Ingot untergebracht ...«
»Im Ingot?«, unterbrach Sofia.
Sterling lachte. »Das ist der Spitzname für das Schloss unserer Ahnen in Kent. Ein verblichener Duke hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Eingangstür mit gediegenem Silber zu verkleiden ... So hatten wir nicht nur den Spitzname zu ertragen, sondern auch die Flüche zahlloser Lakaien, die das verfluchte Ding zu putzen hatten.«
»Scheint so, als pflegte Ihr Vorfahre einen lebhaften Sinn für Humor«, meinte sie trocken.
»Allerdings. Seine Reputation war etwas verblasst, sowohl in persönlicher als auch in politischer Hinsicht. Die Tür ist nicht mehr als der Beweis seiner maßlosen Eitelkeit.«
»Unsere Familie können wir uns nicht aussuchen.«
Der Duke erlaubte sich ein zaghaftes Lächeln. »Nein. Wir müssen schlicht mit ihr leben.«
Wenn wir uns so glücklich schätzen dürfen. Sofia unterdrückte ein Seufzen. Aber vielleicht war es auch ein Glück, dass die Vergangenheit sie nicht in Fesseln gelegt hatte. Auf ihr lasteten nicht die Sünden ihrer Ahnen, nicht die Erwartungen der Familie, nicht die Erinnerung an boshafte Vorfahren.
»Wie dem auch sei«, fuhr Sterling fort, »in letzter Zeit empfange ich nur selten Besuch im Ingot. Ohnehin befindet sich ein kleinerer Teil der Münzen hier in London.«
»Ich würde mich sehr freuen, wenn ich einen Blick darauf werfen dürfte.«
»Ich werde mich für ein paar Tage außerhalb der Stadt aufhalten. Aber sobald ich zurück bin, arrangieren wir einen Besuch.«
»Das ist sehr freundlich, Sir!«
»Nein, im Gegenteil - es ist selbstsüchtig. Ein Mann in meinem Alter darf keine Chance auslassen, sich die Gesellschaft einer zauberhaften jungen Lady zu verschaffen.« Der Duke warf einen Blick in das Zimmer mit den Erfrischungen und zog die silbrigen Brauen hoch. »Sir Stephen sieht so aus, als würde er mich am liebsten den Löwen zum Fraß vorwerfen, weil ich Sie schon so lange den anderen Gästen vorenthalte. Ich sollte Ihnen lieber gestatten, sich in die Menge zu mischen.«
Sofia bedankte sich mit einem würdevollen Lächeln für das Kompliment. Sie hatte Sterlings Gesellschaft genossen. Trotz seines hohen Ranges und der einschüchternden Reputation hatte er bewiesen, dass ein freundliches Herz in seiner Brust schlug. Außerdem hatte er seinen selbstironischen Humor unter Beweis gestellt. Seltsam ... Sie hatte ebenfalls den Eindruck gewonnen, dass er trotz seines Reichtums und des umfangreichen Gefolges recht einsam war. Unter allen Männern, die sie während der Mission zu betören hatte, schien der Duke noch die angenehmste Bekanntschaft zu versprechen.
»Ich würde Ihnen gern widersprechen, aber wahrscheinlich haben Sie recht«, erwiderte Sofia. »Man hält mich sicher schon für unangemessen unhöflich.«
Sterling bot ihr den Arm. »Die Pflicht ist manchmal eine verfluchte Verschwendung.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Eine Viertelstunde reicht aus. Danach dürfen Sie sich unter Umständen zurückziehen.«
»Vielen Dank für den Hinweis, Sir! Ich glaube, ich muss immer noch auf jeden Schritt achten, den ich bei meinem Weg durch die Londoner Gesellschaft mache. Damit ich nicht unwissentlich jemandem auf die empfindlichen Zehen trete.«
»Falls Ihnen doch ein Fehltritt passiert, reagieren Sie einfach so wie auf dem Tanzparkett, Lady Sofia, und wirbeln Sie mit einem hoheitsvollen Lächeln auf den Lippen weiter. Niemand wird es wagen, Sie zu beleidigen.«
Sofia lachte. »Ein weiser Rat, Euer Gnaden.«
»Ich bin mir sicher, dass Lord Lynsley Ihnen ebenso weise raten wird. Mir ist zu Ohren gekommen, dass er eine Patenschaft für Sie übernommen hat, solange Sie sich in der Stadt aufhalten.«
»Ja, der Marquis ist ein alter Freund der Familie«, erwiderte sie. »Aber leider ist zu befürchten, dass seine Pflichten für die Regierung ihm nicht viel freie Zeit lassen. Ich habe längst das Gefühl, dass ich seinen guten Willen zu sehr strapaziert habe. Nein, bestimmt werde ich ihn nicht mehr mit irgendwelchen Belanglosigkeiten aufhalten.«
»Gestatten Sie, dass ich an seine Stelle trete.«
»Wie außerordentlich freundlich! Und Sie würden es mir bestimmt nicht übel nehmen, wenn ich Sie um Rat ersuche, falls sich mir weitere Fragen zur Etikette aufdrängen?« Eine Jungfer in Bedrängnis. Das würde
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