Die scharlachrote Spionin
dass eine Lady nur so weit und keinen Schritt weiter gehen würde, bevor sie sich mit jungfräulichen Entschuldigungen hinter ihren Röcken versteckt.«
Sofia war klar, dass er sie nur provozieren wollte. Sie hatte ihre Auffassung deutlich gemacht. Außerdem hatte ihr Fechtlehrer ihr oft genug gesagt, dass es wichtig war zu wissen, wann man sich zurückziehen musste. Genauso wichtig wie der Zeitpunkt des Angriffs. Risiko und reicher Lohn.
»Ich hatte Ihnen angeboten, einen würdevollen Rückzug anzutreten, Lord Osborne«, antwortete sie. »Aber wenn Sie darauf bestehen ... Nennen Sie die Bedingungen.«
»Der Verlierer muss ein Pfand entrichten.«
»Welches?«
»Der Gewinner bestimmt, was er will.«
»Oder die Gewinnerin«, konterte Sofia. »Und das Spiel?«
»Abwechselnde Würfe von jeweils einer anderen Stelle im Zimmer.« Er lächelte listig. »Bei einem Rundgang werden wir uns die Stellen aussuchen. Der Gewinner eines jeden Wurfs hat die Wahl.« Er zog die Pfeile aus der Scheibe und griff nach einem hölzernen Kasten, in dem sich vier weitere gefiederte Geschosse befanden. »Jeder bekommt fünf.« Das Kerzenlicht reflektierte im Stahl, als er die Pfeile in zwei Haufen sortierte. »Weil Sie zuletzt gewonnen haben, dürfen Sie die erste Position bestimmen.«
Sofia schaute sich um. Neben dem Kamin entdeckte sie einen großen Schmutzfänger aus Messing. Mit den Pfeilen in der Hand marschierte sie ans andere Ende des Zimmers. »Sehr gut. Wir werden von hier aus werfen. Und zwar mit einem Fuß auf dem Gitter.« Sie zog sich einen Schuh aus und stützte ihre seidenbestrumpften Zehen auf das glänzende Metall. »Mit Schuhen oder ohne.«
Sofias Wurf traf fast ins Zentrum.
»Sie sind wirklich gut«, gestand er ein, als sie sich den Schuh wieder anzog. Er trat an den Rost und schleuderte den Pfeil mit seitlich ausgestrecktem Arm ins Ziel.
Der Pfeil küsste die Scheibe direkt neben ihrem.
»Sie auch.« Sofia lächelte ihn an. »Sie sind dran, Sir.«
Sie schleuderten ihre Pfeile, gewannen abwechselnd.
Als sie das nächste Mal die Wahl hatte, drehte Sofia sich um und löste langsam sein Halstuch, zog das schneeweiße Leinen der Länge nach unter dem Kragen seines Hemdes hindurch. »Diesmal werden wir blind werfen.« Sie schlang sich das Tuch um die Augen, atmete unabweisbar den Duft seiner Rasierseife und des Whiskys ein. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich benommen, aber es gelang ihr, sich im Gleichgewicht zu halten und den mittleren Kreis zu treffen.
»Sie lassen mir eine Chance, Contessa.« Osborne streckte die Hand aus, strich mit den Fingern über ihre Haut, während er das Tuch entknotete. »Ich muss versuchen, meine Chance zu nutzen.« Er ließ die Fingergelenke knacken, schleuderte dann den Pfeil ... der aber auch nicht besser traf.
»Immer noch unentschieden«, murmelte sie.
»Hier entlang.« Osborne hatte die Wahl und zog sie in die entfernte Ecke des Zimmers.
Dort gab es nicht viel Platz, sich in Stellung zu bringen, denn die Ecke zwang sie Schulter an Schulter. Sofia konnte die Wärme seines Schenkels spüren, und nicht nur in ihrem Blick schien es zu funkeln.
Osborne hatte recht. Es prickelte wie tausend Dolchspitzen über den Rücken, wenn ein gewisses Risiko im Spiel war.
Sofia hatte das Gefühl, dass ihr das Blut heiß durch die Adern schoss.
»Der letzte Wurf. Um den Sieger zu ermitteln.« Seine Lippen bewegten sich verführerisch dicht an ihrer Wange. Sein Atem roch nach Whisky. Scharf. Süß.
Sie drehte sich um, nur so weit, dass sie frische Luft schnappen konnte. »Sie haben die Ehre, Sir.«
Sein Lachen kitzelte so leicht wie eine Feder über ihre Haut. »Jetzt in diesem Moment ist nichts Ehrenwertes an mir. Um aufrichtig zu sein, wenn wir in dieser kompromittierenden Lage erwischt würden, würde man mich einen Schurken nennen. Oder noch schlimmer.«
»Eine Witwe ...«, begann sie.
»Eine Witwe sollte sich noch mehr über die Konsequenzen klar sein, die es nach sich zieht, wenn man der Hitze des Augenblicks erliegt«, unterbrach Osborne.
»Dann muss das Glück auf meiner Seite sein«, konterte Sofia. »Denn es ist niemand in der Nähe, der den Verstoß bezeugen kann.«
Wenn man vom Teufel spricht ... Es musste in der Luft gelegen haben, denn plötzlich ertönten schlurfende Schritte am anderen Ende des Korridors und ein Gemurmel männlicher Stimmen.
»Verdammt!«, brummte Osborne, schnappte sich Mantel und Halstuch vom Tisch und eilte hastig zu einer Seitentür,
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