Die Schatten der Vergangenheit
nervös. Mir wurde flau im Magen.
Ich nickte mit mehr Zuversicht, als ich empfand. »Klar, ist ja schließlich nichts weiter dabei, oder?«
He, Asher, als wir dich für tot gehalten haben, bin ich zufällig einen Bund mit deinem Bruder eingegangen, und nun könnt ihr beide meine Gedanken lesen. Gib mir doch mal den Zucker, bitte.
»So könnte es funktionieren«, ertönte eine Stimme hinter uns. »Ich könnte aber auch einfach deine Gedanken belauschen.«
Ich fuhr zusammen. Asher stand hinter uns. Gabriel rührte sich nicht, und ich ging davon aus, dass er gehört hatte, wie sich sein Bruder näherte. Dass es so war, wusste ich, als er ein schuldbewusstes Gesicht aufsetzte. Wahrscheinlich hatte er deshalb den Arm fallen lassen.
Asher wandte sich an Gabriel. »Du hast gewusst, dass sie hierhergehen würde.«
Es war keine Frage. Gabriel zuckte mit den Schultern. »Ich hab’s vermutet.«
»Nein, Gabriel«, beharrte Asher, dem ein Licht aufgegangen war. »Du wusstest es. Das Labyrinth war unser Ort, aber du wusstest, sie würde hierherkommen!«
Angesichts von Ashers wütender Stimme lief es mir kalt den Rücken hinunter. Sein struppiges Haar stand ab, und sein Dreitagebart gab ihm ein gefährliches Aussehen. Ich hatte den Townsend Park nicht bewusst gemieden, aber es machte Sinn. Ich hatte Angst.
»Asher?«, flüsterte ich und erhob mich.
Als ich den gramerfüllten Ausdruck in seinen Augen sah,machte ich einen Schritt zurück. Er sah mich an, als hätte ich ihn verraten. Solch einen Gesichtsausdruck hatte ich noch nie bei ihm gesehen, und eine unsichtbare Faust drückte sich mir in den Magen.
»Du bist mit meinem Bruder einen Bund eingegangen.«
Er stellte das so lapidar fest, dass ich Schuldgefühle bekam.
Ich hob die Hände, nicht imstande, mich zu verteidigen, und Asher sagte: »Sie haben mich in diesem Haus jeden verdammten Tag gefoltert. Sie haben versucht, mich dazu zu bringen, ihnen alles über dich zu erzählen, und ich habe den Mund gehalten. Und die ganze Zeit über habt ihr zwei …« Seine Stimme verlor sich, und er deutete kopfschüttelnd auf Gabriel und mich. »Ich weiß nicht mal, was ihr seid!«
»Es ist nicht, was du denkst!«, sagte ich.
»Sprich für dich selbst, Remy«, meinte Gabriel kaum hörbar und erklärte Asher dann in lauterem Ton: »Es ist genau das, was du denkst. Zumindest, was mich betrifft.«
Entsetzt stieß ich Gabriel in die Brust. »Wieso sagst du so was?«
»Weil es stimmt. Es mag dir nicht gefallen, aber ich empfinde etwas für dich!«
Ich rückte von ihm weg. Halt den Mund, Gabriel! Du machst es nur noch schlimmer!
»Zu dumm, Remington. Aber es wird Zeit, dass das alles einmal ausgesprochen wird.«
Asher lachte freudlos. »Das wird ja immer schöner! Du kannst ihre Gedanken lesen?« Gabriel schwieg. »Du tust es, oder?«
»Ja.« Ich stand auf. »Seit ein paar Wochen.«
»Scheiße!«
Wie meiner zuvor, hallte Ashers Schrei von den Klippen wider.
»Willst du mich verarschen?«, rief er dem Himmel zu. Er wandte sich von uns ab und fuhr sich frustriert über den Kopf. Dann ging er ein paar Schritte auf die Absperrung zu, als wolle er uns verlassen, stürmte dann aber genauso unvermittelt zu uns zurück. »Wie, zum Teufel, ist das passiert? Wie konntest du das zulassen, Gabriel?«
Gabriel stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mann, du tust ja so, als hätte ich das geplant!«
Asher erstarrte, seine Augen weiteten sich. »Nein, geplant hast du’s nicht. Aber erhofft, richtig?«
Beinahe hätte ich den schuldbewussten Ausdruck in Gabriels Gesicht nicht wahrgenommen. »Gabriel?«, fragte ich verwirrt. »Wovon spricht er?« Er wollte mich nicht ansehen. »Asher?«
Keiner von beiden reagierte, und ich warf die Hände in die Luft. »Kann mir, verdammt noch mal, einer sagen, worum es hier eigentlich geht?«
»Seit dem Tag, an dem wir uns verbunden haben, stinkt es ihm, Remy«, erwiderte Asher mit rauer Stimme. »Du weißt doch, es ist der älteste Sohn, der einen Bund mit der Heilerin eingeht. Gabriel hätte es sein sollen, nicht ich. Und das lässt er mich nie vergessen!«
Das hatte ich zwar gewusst, aber ich hatte immer gedacht, der Bund mit Asher sei ein weiterer Aspekt, durch den ich mich von anderen Heilerinnen unterschied. Den Grund dafür hatte ich nie hinterfragt. Es war ja ohnehin egal. In der Nacht, in der ich den Bund mit Gabriel eingegangen war, hatte ich übers Überleben hinaus an nichts anderes denken können.
»Du irrst dich, Asher.
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