Die Schatten der Vergangenheit
ausdruckslosem Ton.
Er nickte. »Das weiß ich. Kind, es tut mir leid, aber deshalb brauchen wir auch einen Loyalitätsbeweis, ehe du zu uns zurückkommen kannst. Ich muss mir sicher sein, dass du dich nie wieder mit einem Beschützer verbündest. Du musst dich für eine Seite entscheiden.«
Er klang so selbstgerecht und überzeugt, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. »Franc, in meinen Adern fließt Beschützerblut. Wie soll ich mich denn dagegen entscheiden? Indem ich mich umbringe?«
Mit unbewegter Miene riss er mich hoch. »Nein, du wirst deinen Vater töten.«
Auf mein Flehen ging mein Großvater nicht ein. Er erklärte mir in ruhigem Ton, dass mein Vater und die Blackwells Feinde wären. Meine Mutter wäre krank gewesen und hätte mir den Unterschied nicht beigebracht.
»Nie und nimmer hätte ich sie deinem Vater so schutzlos als Opfer überlassen dürfen!«
»Sie hat ihn geliebt«, antwortete ich heiser. »Das hat sie mir gesagt. Sie hat ihn nur meinetwegen verlassen!«
Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an, und ich dachte, er würde mir gleich eine Ohrfeige verpassen. Doch er fasste sich und legte mir eine Hand an die Wange. »Lügen! Die haben dich reingelegt, Remy. Du musst diese Leute hinter dir lassen, ehe sie dich zerstören. Entscheide dich!«
Entscheiden, wofür? Für ein Leben aus Folter und Knechtschaft? Ein Leben ohne Asher oder meine Familie? Ein Leben, in dem ich meinen Vater umgebracht hatte?
»Nein«, flüsterte ich. »Ich töte Ben. Du tötest Asher. Ich verliere, egal, wie man’s dreht und wendet.«
Francs Hand bewegte sich, und er packte mich am Kinn, drückte zu, bis ich eine Grimasse schnitt. »Du hast deine Schwester vergessen!« Mir lief eine Träne die Wange hinab, und er wischte sie weg. »Ich bin nicht grausam, Remy. Wenn wir weg sind, können deine Schwester und ihre Mutter ein Leben in glücklicher Ignoranz führen. Wir haben Lucy beobachtet. Sie ist ein machtloses Kind, und ich möchte ihr nichts zuleide tun. Wenn ich dich allerdings dadurch behalten könnte, würde ich vor nichts zurückschrecken. Also, entscheide dich.«
Egal, was ich tat, heute würde jemand sterben. Ich schlossdie Augen und schwieg. Ich brauchte meinem Großvater nicht zu erzählen, dass ich klein beigeben würde. Es war ihm klar.
Er befahl mir, Ben eine SMS zu schicken und ihn zu bitten, in die Mitte des Labyrinths zu kommen. Dann nahm er mir das Handy weg, und wir warteten. Ich konnte Asher nicht ansehen und tun, was ich tun musste, folglich starrte ich zum Himmel empor. Minuten später waren Schritte zu hören. Mein Vater rief meinen Namen.
Alles in mir wollte schreien, ihn warnen, wegzurennen.
Franc drückte meinen Arm so fest, dass ich dachte, er würde brechen. Ich biss mir auf die Lippen, bis Xavier Asher einen Fuß auf den Hals drückte.
»Hier!«, krächzte ich.
Ich stand da und lauschte den nahenden Schritten. »Wie soll ich das bitte machen?«, fragte ich meinen Großvater bitter. »Mit bloßen Händen? Unmöglich!«
Doch er hatte an alles gedacht. Er griff in eine Tasche, zog ein Messer hervor und reichte es mir. »Wir können Asher einen kurzen Tod bereiten oder es hinauszögern, bis er uns anfleht, sterben zu dürfen. Denk dran.«
Dann berührte er wie zur Ermutigung mein Kinn. Mir drehte sich der Magen um.
Ich nickte fahrig und verbarg das Messer in meiner Hand. Würde ich meinen Großvater damit angreifen, würde das Asher nicht retten, und nie im Leben nähme ich es mit zwei Beschützern auf. Franc wusste das, hatte darauf gebaut.
Zu bald erschien Ben durch dieselbe Öffnung, durch die ich erschienen war. Als er mich entdeckte, lächelte er, doch sein Lächeln erstarb, als er die Situation erfasste und den Revolver sah, den mein Großvater nun auf ihn richtete.
»Was zum Teufel …?«, fragte er.
Das Messer in der Hand verborgen, bewegte ich mich schwerfällig ein paar Schritte auf ihn zu.
»Remy?«
Schluchzend stand ich vor meinem Vater, nahe genug, um Francs Befehl nachkommen zu können. Es wäre gar kein Problem, denn mein Vater war völlig arglos. Niemals würde er mit so etwas rechnen. Würde sich niemals vorstellen können, dass ich dazu in der Lage wäre. Allerdings würde er alles tun, damit Lucy nichts geschah. Er würde mir diesen Verrat verzeihen, wenn er den Grund dafür erfahren würde.
Ich starrte in die blauen Augen meines Vaters, und er erwiderte meinen Blick.
»Alles okay mit dir, mein Schatz?«, fragte er. »Haben sie dir etwas
Weitere Kostenlose Bücher