Die Schatten der Vergangenheit
offenbart, denn er wusste, einfach nur Freunde könnten wir nie wieder sein. Er tat selten etwas unbedacht.
»Dir entgeht aber auch gar nichts, Remington«, neckte er, doch der Scherz klang erzwungen.
»Nicht«, sagte ich. »Keine Scherze. Dafür bedeutet es zu viel.«
»Verzeih«, erwiderte er in hartem Ton, »aber mir bricht hier das Herz. Dabei tue ich mein Bestes.«
Er wollte von der Arbeitsfläche springen, aber ich berührte seinen Arm. »Geh nicht!«
Ich war mir nicht sicher, ob ich jetzt oder den nächsten Tag meinte. Vielleicht beides.
»Ich muss. Wenn ich bliebe, würde ich um dich kämpfen. Er braucht dich jetzt mehr denn je, aber ich würde mit harten Bandagen vorgehen, um dich zu gewinnen, und es wäre mir völlig gleich, dass er mein Bruder ist.«
Sein eindringlicher Blick hielt mich gefangen. »Ich bin es nicht wert, Gabriel.«
»Doch, das bist du, und es macht mich fertig, dass du das nicht kapierst!«
Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Es war alles gesagt. Ich liebte Asher. Ich hatte meine Wahl getroffen. Und er hatte recht. Asher brauchte mich jetzt.
»Darf ich dich etwas fragen?«
Ich nickte.
»Glaubst du, du hättest dich für mich entschieden, wenn wir uns beide zuerst kennengelernt hätten?«
Ich seufzte. »Wie soll ich darauf bitte eine Antwort geben?«
Ich sprang von der Theke, aber Gabriel hielt mich an der Hand fest und zog mich zu sich, bis ich gegen seine Knie gedrückt wurde. Er wob seine Finger in mein Haar.
»Bitte, Remington. Sag mir nur dies eine.«
Ich sollte ihm sagen, dass ich mich in diesem Fall für ihn entschieden hätte, aber wie konnte ich das wissen? Wenn ich log, würde er es merken. Ich steckte in der Zwickmühle. Seine Miene verdüsterte sich, und sein Griff lockerte sich. Ich hob seine Hand an meine Wange und schloss die Augen.
Ich stellte mir vor, wie wir uns kennenlernten.
Gabriel brauchte eine Ewigkeit, bevor er sein Misstrauen mir gegenüber ablegte. Als es endlich so weit war, dateten wir. Wir hielten Händchen und taten Dinge, die Paare so tun,machten Strandspaziergänge und gingen ins Kino. Aber bald sah Gabriel alles gar nicht mehr so rosarot. Er hatte mein Bedürfnis, jeden heilen zu wollen, der mir vor die Füße fiel, allmählich satt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er mich vor jedem Beschützer und jeder Heilerin, die in der Stadt auftauchten, verteidigen musste. Nach und nach kehrten seine Empfindungen zurück. Eines Tages wurde ihm klar, dass ich gar nicht so besonders war, und mir dämmerte, dass ich zu einer weiteren seiner austauschbaren Gespielinnen mutiert war. Er vermisste seine Freiheit, und wir stritten uns die ganze Zeit, bis einer von uns ging.
Das alles entsprach genau meinen Vorstellungen, wie es mit uns gelaufen wäre, hätten wir uns zuerst kennengelernt. Wortlos erzählte ich ihm unsere Geschichte, und er sah mich traurig an, als ich die Augen aufschlug.
Es hätte nie funktioniert. Du vergisst, dass du mich hier nie hast haben wollen.
» Und du vergisst, dass du zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens bereits mit Asher zusammen warst.«
Mir wurde ganz anders bei seinem Blick.
»Ich wünschte, du würdest nicht fortgehen.«
Aber das würde er. Das war mir klar. Es tat weh, aber ich konnte ihn verstehen. Und ich glaubte nicht, dass ich hätte zusehen können, wie Asher Lucy liebte.
Gabriel lächelte und sah dabei wie ein gefährlicher Haifisch aus. So ein Bild hatte ich schon mal von ihm. »Und du solltest heimgehen. Ich bin nämlich drauf und dran, etwas zu tun, was ich mir morgen nicht verzeihen könnte.«
Ich huschte zur Tür.
»Remington!«
Ich sah noch einmal zurück.
Gabriels Augen blitzten. »Du hast unrecht, was uns betrifft.Wenn du mir gehören würdest, dann hätte ich dich nie kampflos gehen lassen, niemals! Gute Nacht.«
Den ganzen Heimweg über rannte ich.
Es dauerte lange, ehe ich einschlief.
Am nächsten Morgen rief Asher an, um mir zu sagen, dass Gabriel sie mitten in der Nacht verlassen hatte. Sie hätten miteinander gesprochen. Gabriel sei nicht wütend auf Asher, aber er brauche Zeit, um über alles hinwegzukommen. Um über mich hinwegzukommen. Und das schaffe er nicht, wenn er uns ständig zusammen sähe. Folglich sei er mit dem Versprechen losgezogen, sich zu melden, wenn er irgendwo gelandet sei.
Ich vermisste ihn schon jetzt, und Asher wusste das. Vielleicht hatte er es mir deshalb lieber am Telefon sagen wollen, wo er meine
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