Die Schatten der Vergangenheit
Beschützer sie aus den Angeln gehoben und beiseitegeworfen. Xavier stürmte als Erster herein und richtete seinen Revolver auf Gabriels Rücken. Ich hasste diesen verdammten Revolver.
Gabriels Miene verhärtete sich, alle Emotionen verschwanden daraus, bis er einmal mehr eine höfliche Maske zur Schau trug. Es war, als würde er innerlich ein Licht ausknipsen. Etwas Derartiges hatte ich noch nie erlebt.
Mit einer einzigen eleganten Bewegung brachte er mich zu Fall und wandte sich dann den beiden anderen Beschützern zu. Fast so, als würde er mich vor Schaden bewahren wollen, so wie Asher es getan hätte. Das konnte nicht sein. Ich schüttelteden Kopf, um klar denken zu können. Gabriel hatte mich verletzt. Er war kein bisschen wie Asher.
»Gabriel, was zum Teufel soll das?«, fuhr Xavier ihn an. »Ich habe dir doch gesagt, allein hier reinzugehen ist nicht!«
Gabriel zuckte die Achseln. »Hab nicht gedacht, dass ich Hilfe bräuchte, um eine Heilerin kleinzukriegen.«
Heilerin. Gabriel nannte mich immer Heilerin, als wolle er sich davon distanzieren, was ich war. Vorher hatte er mich allerdings Remy genannt. Und noch ein Erinnerungsfetzen ließ mir keine Ruhe. Als Gabriel hier angekommen war, hatte er etwas gesagt. Einen Satz, den er schon einmal geäußert hatte. Krampfhaft versuchte ich, mich zu erinnern.
Ich habe dir einmal gesagt, die einzig gute Heilerin ist eine tote Heilerin.
In der Nacht, als Dean starb, hatte Gabriel genau dieselben Worte verwendet, um mich dazu zu bewegen, Asher und mich zu retten. Damals hatte es funktioniert.
Natürlich! Gabriel hatte versucht, mir ein Zeichen zu geben, und ich war zu sehr mit meinen Gefühlen beschäftigt, um es zu bemerken. Erschöpft drehte ich mich so, dass meine Muskeln nicht mehr so schmerzten. Gabriel schirmte mich ab, was mich verwirrte. Doch dann begriff ich. Die Beschützer hatten keine Ahnung, dass ich nicht mehr angekettet war. Ich erstarrte, aber zu spät.
»Du hast sie befreit«, schrie Xavier.
»Hab dir doch gesagt, dass du ihm nicht trauen kannst!« Mark drängte sich vor.
Gabriel verschränkte die Arme, entspannt und arrogant wie immer. »Ich hab’s nicht nötig, eine Heilerin an die Wand zu ketten, um sie gefügig zu machen.«
Die angedeutete Beleidigung traf ins Schwarze, und Xavier musste Mark festhalten, damit er nicht auf Gabriel losging.
»Oder vielleicht«, sagte Xavier nachdenklich, »bist du genau wie dein Bruder.«
»Ich denke, ich habe bewiesen, dass ich nicht so bescheuert bin wie mein Bruder«, erwiderte Gabriel. »Ich bin nicht der Sklave einer Heilerin!«
Xavier deutete auf mich. »Du versuchst doch, dieses Mädchen zu retten!«
Gabriel lachte. Ich fragte mich, ob diese Typen heraushörten, wie gezwungen es klang. Mein Gefühl sagte mir, Gabriel würde mich retten. Aus Mitleid oder aus Loyalität gegenüber seinem Bruder würde er sich zwischen mich und die Beschützer stellen. Und ich würde zuschauen müssen, wie auch er dafür büßen musste. Beschützer sollten nicht an Schusswunden sterben, aber … ich hatte monatelang mit Gabriel trainiert. Wer wusste schon, wie sterblich er in meiner Nähe geworden war? Er hatte sich nie darüber ausgelassen, aber das war auch nicht sein Stil.
Ich stellte mir vor, wie Gabriel an derselben Stelle starb wie Asher, und wusste, es würde mich umbringen. Ich würde es nicht zulassen, dass ein weiterer Blackwell meinetwegen umkam. Plötzlich wurde ich ganz ruhig.
»Ihr irrt euch, wisst ihr«, sagte ich. Ich fuhr fort, ohne mich um Gabriels warnenden Blick zu kümmern. »Asher hat mich geliebt. Er war ehrlich und mutig und hätte für die, die ihm am Herzen lagen, alles getan. Gabriel ist das krasse Gegenteil von seinem Bruder.«
Ich packte so viel Gift wie möglich in meine Worte. Und tatsächlich, er zuckte zusammen, und ein Teil von mir hätte sich bei ihm am liebsten dafür entschuldigt. Dafür entschuldigt, dass ich an ihm gezweifelt und ihn in diesen Schlamassel hineingezogen hatte. Wäre Asher mir nicht nach San Francisco gefolgt, dann würde er sich jetzt nicht in dieserSituation befinden. Wenn schon sonst nichts, so würde ich wenigstens das in Ordnung bringen.
Mit der Wand als Halt stand ich auf. Ich stöhnte angesichts der Schmerzen, doch war froh um sie, denn sie würden uns heraushelfen. Je schwächer und mitleiderregender ich wirkte, umso besser.
»Gabriel wollte meine Gabe immer für sich selbst, und er hat mich dafür gehasst, dass meine Wahl auf Asher fiel.« Mit
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