Die Schatten der Vergangenheit
leidenschaftlicher Stimme wandte ich mich an Xavier. »Lieber bringe ich mich um, als dass Gabriel auch nur ein kleines Stück von mir bekommt!«
Xavier verzog den Mund zu einem hämischen Lächeln.
»Ihr habt gewonnen«, sprach ich nun etwas leiser. »Wir wissen doch alle, dass ich hier nicht mehr rauskomme. Wenn ich schon sterben muss, dann wähle ich dich. Ich werde nicht gegen dich kämpfen, das schwöre ich. Nur eins: Lass nicht zu, dass der hier mich noch einmal berührt!«
Mit zittrigen Schritten humpelte ich auf Xavier zu. Zum ersten Mal senkte ich in Gegenwart dieser Beschützer meine Mauern, sammelte meine Energie und merkte, wie sie sich in mir entfaltete. Das entstehende Summen verursachte Beschützern Schmerzen, selbst wenn sie ansonsten empfindungslos waren. Dadurch hatte Asher bei unserer ersten Begegnung gemerkt, dass ich anders war.
Als nun meine Abwehr herunterdonnerte, spürten Mark und Xavier erstmals meine Energie mit voller Wucht. Mark wich zurück und hielt sich den Kopf. Xavier stockte, die Mündung seines Revolvers fiel nach unten, während er Gabriel mit gerunzelter Stirn ansah. Ihnen war klar, dass etwas nicht stimmte, sie wussten nur nicht, was.
Ich warf Gabriel einen kurzen Blick zu. Auch er spürte meine Energie, aber im Gegensatz zu den anderen war er daraufvorbereitet. Seine angespannten Muskeln signalisierten, dass er jeden Augenblick in Aktion treten würde. Er hatte erraten, was ich vorhatte.
Xaviers Blick flog zwischen Gabriel und mir hin und her und richtete sich dann ganz auf mich. Ihm schien ein Licht aufzugehen. Ich hatte nur Sekunden Zeit, etwas zu unternehmen, und ich nutzte sie in der Hoffnung, Gabriel würde mir beistehen.
Unter Aufbietung all meiner Kraft stürzte ich mich mit der Schnelligkeit eines Beschützers auf sie. Ich war nicht schnell genug, um sie vollends zu überraschen. Xavier schaffte es, seine Waffe auf mich zu richten, und gerade als ich ihn erreichte, einen Schuss abzufeuern. Die Kugel traf mich am Bauch, und ich wurde nach hinten geschleudert.
Ich fiel auf die Knie, absorbierte die Schmerzen. Benutzte sie. Mark und Xavier standen nahe genug, dass ich sie beide an je einem Fußgelenk zu fassen bekam. Die Schmerzen, die in meinen gebrochenen Arm fuhren, trieben mir die Tränen in die Augen. Ich hatte noch nie versucht, zwei Personen auf einmal auszuschalten, von Beschützern ganz zu schweigen. Was, wenn ich versagte? Ich ließ meine Energie aus mir herausströmen und nahm die beiden unter Dauerbeschuss. Hinter mir spürte ich eine Bewegung, aber Gabriel mischte sich nicht ein. Rote Funken erhellten den Raum.
Knochen knackten, als Arme brachen, und Xavier ließ den Revolver fallen. Auf ihrer Haut öffneten sich Schnittwunden, die meinen glichen, Blut sickerte durch ihre Kleidung, und auf ihrer Haut bildeten sich Blutergüsse. Wie dunkelrote Kleckse breiteten sich auf ihren Bäuchen feuchte Flecken aus.
Bis auf wenige Augenblicke, als sie Heilerinnen das Leben genommen hatten, hatten diese beiden Beschützer seit einem Jahrhundert nichts mehr empfunden. Ich wünschte mir, dasssie all meine Schmerzen in ihrem vollen Ausmaß zu spüren bekamen. Aber sie gingen nicht einmal zu Boden, und ich wusste, es war hoffnungslos. Ich hatte nicht genügend Zeit mit ihnen verbracht, um sie wieder sterblicher zu machen, wie die Blackwells.
Meine Hände fielen von ihnen ab, nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil ich zu schwach war, um mich an sie zu klammern, als sie sich von mir losrissen. Ich stürzte zu Boden und landete auf dem harten, kalten Beton. Ich fasste mir an den Bauch, und als ich die Hand wieder wegnahm, war sie blutig.
Heftiger Schüttelfrost überkam mich, als wäre ich in einem eiskalten See schwimmen gewesen. Ich setzte alles daran, nicht das Bewusstsein zu verlieren, doch ich spürte, ich würde es nicht schaffen. Wie aus weiter Ferne vernahm ich Kampfgeräusche. Gabriel hatte da übernommen, wo ich aufgehört hatte.
Zähneklappernd glitt ich in Richtung Schlaf. Jedes Körperglied war schwer wie Blei, und ich verschmolz mit dem Betonboden. Der Abgrund rief nach mir, meine Schmerzen ließen nach, als ich in den Dunst trat, wo man nicht länger etwas fühlte. Ich hieß die Betäubung willkommen.
Dann wurde ich hochgehoben. Jemand trug mich, und ich schüttelte genug von der Schläfrigkeit ab, um mich zu fragen, ob ich Angst haben sollte, auch wenn ich mich nicht erinnern konnte, wieso. Ich öffnete die Augen einen Spalt breit, und vertraute
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