Die Schatten der Vergangenheit
grüne Augen.
Ich erschauerte und hasste ihn dafür, dass er mich dazu gebracht hatte, in diese Hölle zurückzukehren.
Wenn sich Gabriel hätte entscheiden müssen, wen er aus der Gefangenschaft befreite, Asher oder mich, dann hätte er immer seinen Bruder gewählt. Nachdem er nun aber mich in den Armen hielt, konnte das nur eines bedeuten. Asher war wirklich tot.
Gabriel brachte mich in ein Motel. Er lehnte mich in einer Seitengasse an eine Wand, während er hineinging und ein Zimmer organisierte. Weiß der Himmel, wie er das schaffte, so voller Blut, Schmutz und Blutergüsse. Aber Asher hatte immer gesagt, Geld könne Berge versetzen. Und davon hatten die Blackwells weiß Gott genug.
Asher.
Er war in diesem verdammten Gefängnis gestorben. Was hatte es gebracht, dass ich nach San Francisco gekommen war? Ich hatte versucht, uns zu retten, doch stattdessen hatte ich seinen Tod verursacht. Aus den Worten der Beschützer war klar hervorgegangen, dass sie hinter mir her waren und nicht hinter Asher.
Ich hatte alles vermasselt und den Menschen verloren, der mir am wichtigsten war.
Ich hätte in diesem Gefängnis sterben sollen.
Gabriel kehrte mit einem Zimmerschlüssel in der Hand zurück, warf einen Blick auf die Tränen, die meine Wangen hinunterströmten, und hob mich wortlos wieder hoch. Irgendwie schaffte er es, den Schlüssel ins Schloss zu bringen und aufzuschließen, ohne mich abzusetzen. Er trug michgeradewegs ins Badezimmer und setzte mich auf die Toilette.
Dann musterte er mich mit einer Miene, die für eine undankbare Aufgabe reserviert war, wie etwa den Abfluss von Haaren zu säubern oder den Müll hinauszubringen.
Er wollte mich berühren, aber ich schob mit meinem gesunden Arm seine Hände weg.
»Finger weg, Gabriel!«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Du weißt, wer ich bin?«
»Ja«, antwortete ich in bitterem Ton.
»Gut, das macht alles viel einfacher.«
Er gab mir gar nicht die Chance, noch mal zu protestieren. Mit beiden Händen packte er den Saum meines Tanktops und zog es mir über den Kopf. Der Gedanke, mich zu bedecken, kam mir gar nicht. Ich brauchte all meine Kraft dafür, mir die Lippen blutig zu beißen, damit ich nicht schrie, als sich Teile des Stoffes lösten, die an meinen Wunden klebten. Die Haut riss wieder auf, und da, wo die Kugel ein- und ausgetreten war, sickerte Blut an meinem Bauch und meinem Rücken hinunter.
Gabriel holte tief Luft und fluchte.
Ich fluchte zurück, bis er mir den Mund zuhielt.
»Remy, jetzt sei still! Deine Wunden müssen versorgt werden. In ein Krankenhaus kann ich dich nicht bringen, die suchen bestimmt nach dir. Deshalb machen wir das im Alleingang. Kapiert?«
Ich wollte nicht, dass mich Gabriel berührte. Außerdem merkte ich, dass ich mich gar nicht selbst heilen könnte – ich hatte meine Fähigkeiten kurzgeschlossen, und es würden Stunden oder Tage vergehen, bis sie wieder voll einsatzfähig waren. Aber es war sowieso egal. Eine Heilung verdiente ich auch gar nicht.
Gabriel seufzte. »Schön. Dann bleib einfach sitzen, und ich kümmere mich darum. Aber ich bin müde und mit den Nerven runter, okay? Also keine Sperenzchen, sonst wird es dir leidtun!«
Die Drohung in seiner Stimme klang so echt, dass ich mucksmäuschenstill sitzen blieb. Einen längeren Augenblick jedenfalls. Sobald er seine Hand von meinem Mund nahm, stieß ich ihn weg und wollte zu der Tür rennen, die in den Raum nebenan führte. Ich hatte einen einzigen Schritt gemacht, da brach ich auch schon zusammen. Ich stöhnte. Gabriel stand mit verschränkten Armen über mir und sah gleichzeitig geduldig und arrogant aus.
»Gut jetzt?«
Wie ich da in BH und Jeans auf dem Badezimmerboden lag, musste ich wirklich lächerlich aussehen. In diesem Augenblick hasste ich Gabriel mehr, als ich ihn je im Leben gehasst hatte. Er beugte sich herunter und hob mich hoch. Nachdem er mich an die Wand gelehnt hatte, zog er mir die Jeans aus, sodass ich nun in Unterwäsche vor ihm stand. Dann breitete er ein sauberes Handtuch auf dem Linoleumboden aus, legte mich darauf und nahm sich meine Verletzungen vor.
Ich beschloss, in dieser Situation sei es das Beste, so zu tun, als existierte er gar nicht. Er drückte ein Handtuch nach dem anderen auf meinen Bauch, um den Blutfluss zu stillen. Irgendwann einmal ging er ins Zimmer nebenan und telefonierte. Als er kurze Zeit darauf auf ein Klopfen hin an die Tür ging, rührte ich mich nicht. Wozu auch? Durch den Blutverlust war ich zu schwach, um
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