Die Schatten der Vergangenheit
gerutscht, wenn ich das Schnürband in der Taille nicht zusammengezogen hätte. Wir hatten ausgecheckt und dann bei einem Drogeriemarkt Halt gemacht. Gabriel war hineingesprungen und hatte mir ein Paar Flip-Flops gekauft, damit ich nicht barfuß herumlaufen musste. Dann waren wir in dieses Café gegangen. Die meiste Zeit über hatten wir schweigend dagesessen, jeder in die eigenen Gedanken vertieft.
Die Frage war, was wir als Nächstes tun sollten. Ich wollte Ashers Mörder töten, aber ich hatte keine Ahnung, wie man das anging und wo man nach ihnen suchen sollte. Es würde seine Zeit dauern, aber was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Däumchen drehen und darauf warten, dass die Beschützer mich fanden, ehe ich mir einen Plan zurechtgelegt hatte? Ich musste Franc warnen. Danach sollte ich vielleicht nach Hause fliegen und dort alles gründlich überdenken.
»Du kannst nicht nach Blackwell Falls zurück.«
Mir fiel die Gabel aus der Hand. »Wie bitte?«
»Ich weiß, was in deinem Kopf vorgeht, Heilerin.« Gabriel ließ den letzten Rest Kaffee in seinem Becher kreisen. »Du denkst daran, heim zu Daddy zu rennen.«
Er sagte das so, als wäre ich ein Feigling. Ja gut, ich hatte mit dem Gedanken an eine Rückkehr gespielt, aber ich sah auch keine Möglichkeit, die nicht beinhaltete, dass ich einen qualvollen Tod durch die Hände der Beschützer starb oder mich irgendwo in einer Höhle in der Wüste versteckte.
»Na und?« Ich klang streitlustig, und es war mir egal.
»Dann lässt du also zu, dass deine Familie getötet wird.«
Es war, als hätte er mich geschlagen. Er hatte kein »auch« verwendet, aber beide dachten wir daran. Ich hätte von Anfangan in Blackwell Falls bleiben sollen. Vielleicht würde Asher dann noch leben. Gabriel hätte mich in dem Gefängnis zurücklassen sollen …
»Hör auf damit!«, befahl Gabriel.
Ich rang mit den Tränen. Für ein Mädchen, das selten weinte, war ich inzwischen ausgesprochen nah am Wasser gebaut.
»Diese Typen haben Asher gegen dich eingesetzt«, fuhr er in neutralem Ton fort. »Aber woher wussten sie, dass er sie geradewegs zu dir führen würde? Aus irgendeinem Grund haben sie ihn beschattet.«
»Wie kommst du darauf, dass sie mich nicht beschattet haben? Wir haben uns mehrere Male im Wald getroffen. Vielleicht haben sie uns ja zusammen gesehen und sich zusammengereimt, dass wir ein Paar sind.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Nie und nimmer. Sie sind Asher gefolgt.«
»Was macht dich so sicher?«
Gabriel legte den Arm lässig auf die Rückenlehne seiner Sitzbank und hätte völlig entspannt gewirkt, wären da nicht die hervorstehenden Sehnen an seinem Hals gewesen. »Wenn sie gewusst hätten, wie sie dich ohne ihn finden können, dann wärst du jetzt tot und Asher wäre noch am Leben.«
Da war etwas Wahres dran. Falls Gabriel mir noch mehr Schmerzen hatte zufügen wollen, dann hatte er einen Volltreffer gelandet. Asher starb, weil ich war, wer ich war.
Ich zerknüllte meine Serviette und warf sie auf den Teller. »Und was hat das bitte mit meiner Familie zu tun?«
»Die Beschützer verheimlichen ihre Aufenthaltsorte untereinander eigentlich nicht.« Er wartete, dass ich das verdaute. »Diese Männer wussten, dass wir nicht aus der Gegend stammen. Ist dir klar, wie einfach es für sie sein wird, herauszufinden,wo wir leben?« Er schnipste mit den Fingern. »Ein zweiminütiges Telefongespräch und sie sind morgen in Maine, wenn sie es nicht jetzt schon sind.«
Mir ging ein Licht auf. »Sie werden in Blackwell Falls nach mir suchen!« Ein weiterer entsetzlicher Gedanke folgte, und ich starrte Gabriel hilflos an. »Oh Gott, meine Familie!«
Als ich aufstehen wollte, griff er über den Tisch und umfasste meinen Unterarm.
»Es geht ihnen gut. Ich habe heute Morgen mit Lottie gesprochen, und sie hat nach ihnen gesehen. Dein Vater ist im Büro, und deine Mom und Lucy sind zu Hause.«
Ich sank mit einem Plumps auf meinen Platz zurück, und er ließ mich los.
»Du kannst nicht nach Blackwell Falls. Sobald du dort auftauchst, schwebt auch deine Familie in Gefahr.«
Nachdenklich strich ich mir das Haar hinters Ohr. »Sie könnten meine Familie aber auch angreifen, um mich dorthin zu locken!«
»Nicht wenn sie wissen, dass du hier bist. Du wirst dich gerade lange genug zeigen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Und dann gehst du zu deinem Großvater zurück.«
Gabriel schlürfte seinen Kaffee, als hätte er nicht gerade eine ganze Bombenserie auf meinen Kopf
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