Die Schatten der Vergangenheit
sich Gabriels Atemzüge und wurden gleichmäßig, und ich dachte, er würde schlafen. Da ließ ich, das Gesicht in das kratzige Kopfkissen gedrückt, meinen Tränen freien Lauf. Ich hatte Gabriel für Asher gehalten und mir eingeredet, Asher hätte die Geiselnahme überlebt. Diese Wunden würden sich nicht heilen lassen. Und das würde ich nie verkraften.
Das Bett bewegte sich, und ich stieß einen Schrei aus.Gabriel legte sich auf die Bettdecke. Er zog mich an sich, samt Decke und allem, und drückte mein Gesicht an seine Brust. Das war das Letzte, was ich wollte, und ich wehrte mich. Mit seinen verdammten grünen Augen erinnerte er mich zu sehr an Asher.
Doch dann streiften meine Finger Gabriels Wange. Tränen. Gabriel weinte um seinen Bruder. Das ließ meine Wut verfliegen, wie nichts sonst es gekonnt hätte, und ich kämpfte nicht länger gegen ihn an. Die Art, wie er mich hielt, hatte nichts Romantisches. Beide trauerten wir um Asher, und manchmal schmerzte es etwas weniger, wenn man mit jemand anderem zusammen weinen konnte. Selbst wenn man die Person, die einen hielt, eigentlich gar nicht mochte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, drang kaum Licht durch die schweren Vorhänge. Gabriel hatte mir die Peinlichkeit erspart, neben ihm aufzuwachen. Im Badezimmer lief das Wasser, und ich sprang auf, um mich anzuziehen. Sofort tat alles weh, und ich stöhnte auf. Die schlimmsten Verletzungen hatte ich zwar geheilt, aber damit waren noch längst nicht alle Folgen der schrecklichen Folter der letzten Tage beseitigt.
Meine Jeans, zerrissen und steif vor Blut, lag zusammengefaltet auf der Frisierkommode. Angewidert hielt ich sie hoch. Wenn jemand mich in meiner Verfassung darin sah, würde es Fragen geben. Außerdem würde ich durchdrehen, wenn ich mit Ashers Blut an meinen Klamotten herumlaufen musste.
Das Wasser wurde abgedreht, während ich noch überlegte, was ich anziehen sollte, und dann war es zu spät, weil Gabriel die Badezimmertür aufstieß. Er rubbelte sich mit einem Handtuch den Kopf ab, sodass ihm das nasse Haar wirr abstand, und er hatte sich zu seiner Jeans noch kein Shirt angezogen. Wie ich so dastand, nur mit einem T - Shirt bekleidet, fiel mir erneut die erzwungene Nähe der Situation auf. Ich wich zurück, sank in den einzigen Sessel im Raum und drückte mir die Jeans an die Brust.
Gabriel sah mich und blieb in der Tür stehen. »Du bist auf.«
»Gabriel, was machen wir denn jetzt nur?« Ich klang verloren.
Gabriel kam zu mir und nahm mir die Jeans weg.
»Eins nach dem anderen, Remy. Zuerst wollen wir mal sehen, was wir damit machen können.« Er deutete auf mein Gesicht und meine Beine. »So kannst du dich nirgends blicken lassen.«
Ich dachte, er würde auf meine Bekleidung anspielen, und schnappte nach Luft, als ich an mir hinuntersah. Mein ganzer Körper war übersät mit Blutergüssen und Schnittwunden, die sich über Nacht hässlich verfärbt hatten und angeschwollen waren.
Gabriel setzte sich mir gegenüber aufs Bett und warf sein Handtuch und meine Jeans auf den Boden. »Was meinst du, bist du fit genug für eine weitere Heilungsrunde?«
Ich testete meine Kraft, und er wartete geduldig. Auch wenn ich mich hätte heilen können, wäre damit das bisschen Energie, das sich über Nacht angesammelt hatte, gleich wieder futsch gewesen. Auf hundert Prozent war ich noch längst nicht. Gabriel schien meine Antwort in meinem Gesicht zu lesen.
»Komm, ich helfe dir wieder, Remy.«
Ich schüttelte den Kopf.
Gabriel atmete lautstark aus. »Was bist du nur für ein verdammter Dickschädel! Na dann, wie du willst!«
Er verschränkte die Arme vor der Brust, und zum ersten Mal fielen mir die Verfärbungen auf seinem Brustkorb auf. Die hatte er sich bei dem Versuch, mich zu retten, zugezogen. Ich fragte mich, ob Mark und Xavier überlebt hatten. Hoffentlich nicht.
Ich schluckte und zog mir den Saum meines T - Shirts übermeine Oberschenkel. Wie ich das alles hasste! Ich wollte nicht hier mit Ashers Bruder sein. Ich wollte ihm nichts schulden oder von ihm abhängig sein.
Gabriel seufzte. »Bitte, nicht weinen. Tut mir leid, dass ich dich angefahren habe.« Er rieb sich das Gesicht. »Kannst du es vielleicht mal von meiner Warte aus betrachten? Hier können wir nicht bleiben. Wir müssen von hier weg, aber wenn dich in diesem Zustand jemand sieht, erregt es Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die wir nicht brauchen können. Also lass mich dir helfen.«
Unentschlossen kaute ich auf
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