Die Schatten der Vergangenheit
meiner Lippe herum.
Gabriel schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel und sah angewidert zur Decke. »Ist das zu fassen? Ich flehe eine Heilerin an, dass sie mich ihr helfen lässt!«
Diese Bemerkung war typisch für den Gabriel, den ich kannte. Den Gabriel, der mich in der letzten Nacht in den Armen gehalten hatte, als ich weinte, wollte ich schleunigst vergessen. Mit dem arroganten, gereizten Gabriel vor mir dagegen kam ich zurecht.
»Okay«, meinte ich. »Aber nur unter einer Bedingung!«
»Und die wäre?«, fragte er ruppig.
»Zuerst heile ich dich.« Er wollte protestieren, aber ich sprach schnell weiter. »Ich lasse nicht zu, dass du mit Verwundungen herumläufst, die du ohne mich nicht hättest. Ich heile dich, und dann hilfst du mir. So läuft das und nicht anders!«
Gabriel streckte die Brust heraus und wirkte auf einmal größer und Furcht einflößender. Diese Taktik hatte er zuvor schon einmal eingesetzt, damit ich tat, was er wollte. »Vergiss es«, schnaubte ich. »Du kannst mich nicht dazu zwingen, dass ich mich selbst heile.«
Die Stille hielt an.
»Entweder bist du eine Masochistin oder eine Märtyrerin«, warf Gabriel mir dann vor. »Macht es dir Spaß, die Verletzungen anderer zu übernehmen? Gibt dir das ein Gefühl von Wichtigkeit?«
Beinahe hätte ich ihm eine reingehauen. Und genau das wollte er natürlich. Mich so wütend, dass ich mich weigerte, ihn zu heilen. Also lächelte ich stattdessen zuckersüß und schnappte mir blitzschnell seine Hand. Überrumpelt wollte er sich losreißen, doch ich senkte flugs meine Mauern und ließ meine Energie auf ihn los, nur um dann zu merken, dass sein Schutzwall oben war.
»Na komm schon, Gabriel. Du verschwendest doch nur Zeit!«
Sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr, aber er tat, wie ihm geheißen, und senkte seine Abwehr. Während ich eine Bestandsaufnahme machte, beobachtete ich ihn genau. Wie am Vorabend kniff er die Augen zu und biss die Zähne zusammen, aber die Beherrschung verlor er nicht. Rasch kümmerte ich mich um seine Verletzungen und schon wenige Augenblicke darauf verschwanden die Blutergüsse auf seiner linken Seite. Grüne Funken stoben auf, und mir stockte der Atem, als meine linke Seite zu schmerzen begann. Dieser alte Macho! Sofern er durch meine Nähe tatsächlich sterblicher geworden war, hatte er höllische Schmerzen ausgestanden und alles überspielt.
Ich wollte meine Hand fallen lassen, aber Gabriel hielt sie fest.
»Jetzt du.« Glücklich klang er nicht.
Ich bereitete mich auf die Art und Weise vor, wie seine Energie sich mir nähern würde, aggressiv und bestimmt wie Gabriel selbst. Als ich sie spürte, erschauerte ich wie schon zuvor vor Abscheu. Dann ging ich meine Wunden an. Nochnie hatte ich mich so schnell geheilt. Gabriel war mächtiger als Asher. Viel mächtiger. Seine Energie hätte mich überwältigt, hätte er sich nicht so perfekt unter Kontrolle gehabt. Die Prellungen und Schnittwunden verschwanden, und mit ihnen ließ auch der unterschwellige Dauerschmerz in meinem Körper nach. In den letzten Tagen war er mir so zur zweiten Natur geworden, dass ich erleichtert aufatmete, als er verschwand. Bis auf mein Herz so gut wie neu. Als ich mich von Gabriel löste, erhellten unzählige grüne Funken den Raum.
»Danke«, sagte ich schlicht.
Gabriel starrte mich nur an, was ich nicht deuten konnte. Dann stand er auf und hob meine Jeans auf. »Ich würde vorschlagen, du duschst jetzt mal, und ich schaue unterdessen, ob ich dir ein paar frische Klamotten organisieren kann, hm?«
Ich erhob mich und floh ins Badezimmer. Über seine Pläne hatten wir noch gar nicht gesprochen, aber ich würde sie nicht mögen, da war ich mir sicher.
Gabriel saß mir gegenüber in dem kleinen Café in Oakland. Er nippte mit ausdrucksloser Miene an seinem Kaffee, und ich fragte mich, ob er den Geschmack von Kaffee je kennengelernt hatte. Asher mochte Kaffee überhaupt nicht. Hatte ihn nicht gemocht. Asher. Ich kann einfach nicht begreifen, dass er nicht mehr da sein soll.
Einige Zeit vorher war ich aus der Duschkabine gestiegen und hatte eine Jogginghose und ein T - Shirt entdeckt, die zusammengefaltet auf dem geschlossenen Toilettendeckel lagen. Abgetragen und weich gehörten sie einem Fremden, aber sie dufteten nach Waschpulver. Ich hatte nicht gefragt, wo erdie sauberen Sachen für sich und mich aufgetrieben hatte, aber sie mussten von ein und derselben Person stammen. Die Jogginghose wäre mir von den Hüften
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