Die Schatten der Vergangenheit
erzählte, dass sie mir die gleichen Schnittwunden zugefügt hatten wie ihr. Francs Blick fiel auf meine unversehrte Haut, und ich erklärte: »Sobald ich halbwegs in Sicherheit war, habe ich mich geheilt.«
Jemand meinte, es sei besser, mich irgendwo anders unterzubringen. Man wisse ja nicht, ob man mir zum Inspiration Point gefolgt sei. Es sei möglich, dass sie nur darauf gewartet hätten, mich allein abzupassen. Zu meiner Überraschung beharrte Franc darauf, dass ich weiterhin bei ihm wohnte. Dabei hatten Gabriel und ich fest damit gerechnet, dass er mich nach Pacifica bringen würde. So aber würde das Haus noch besser bewacht werden, und ich würde in meinen Freiheiten noch stärker eingeschränkt sein.
»Dass du dich allein herumtreibst, kommt ab jetzt gar nicht mehr infrage«, warnte er mich. »Ich hoffe, du verstehst, wie gefährlich eine Rückkehr nach New York wäre. Überleg doch nur mal, was geschehen wäre, wenn einer deiner Freunde dabei gewesen wäre.«
Ein Schatten fiel über sein Gesicht, und vor meinem geistigen Augen erschien das Bild Ashers, auf den eine Waffe gerichtet war.
»Ich bleibe in San Francisco«, meinte ich tonlos.
»Gut.« Franc nickte zufrieden. »Dann hat das Ganze ja wenigstens auch ein Gutes.«
Er wandte sich an die Männer, die gerade besprachen, wann wer das Haus bewachte. Ich rieb mir die Arme und fragte mich, ob ich mich in mein Bett verdrücken konnte. Ich wollte mich zusammenrollen und tausend Jahre schlafen, damit ich alles andere vergaß. Allerdings befürchtete ich, dass Schlaf unmöglich sein würde. Ich stellte mir Lauras und Lucys Gesichter vor, während mein Vater ihnen erzählte, ich würde nicht mehr zurückkommen. Würden sie mir das je verzeihen?
Eine warme Hand strich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Dorthea setzte sich neben mich auf die Couch. Sie tätschelte mir die Hand. »Ich bin so froh, dass du jetzt in Sicherheit bist, Remy.«
Dann sind wir ja schon zu zweit.
Die Tage vergingen wie im Nebel.
Ich gehorchte meinem Großvater und ging nirgendwo allein hin. Ich blieb so oft wie möglich in meinem Zimmer. Ich hatte mich geirrt, als ich dachte, nie mehr schlafen zu können. Schlafen war inzwischen das, was ich am besten konnte. Hinter zugezogenen Vorhängen verkroch ich mich in mein Bett, während die Tage und Nächte verflogen.
Franc sah mehrmals am Tag nach mir. Er versuchte, mich dazu zu bewegen, nach Pacifica mitzukommen und Erin zu besuchen, und als das nicht klappte, holte er sie her, um zu sehen, ob sie mich aus meinem Zimmer locken konnte. Ich duschte und gesellte mich dann zu ihnen an den Küchentisch, aber Erin bemühte sich vergeblich, mich ins Gespräch mit einzubeziehen. Schließlich schloss ich mich für eine weitere Woche in meinem Zimmer ein, und Erin kam nicht mehr wieder. Franc schien auch langsam am Ende mit seiner Geduld zu sein, und man merkte ihm an, dass ihn meine Apathie nervte, aber irgendwie war mir inzwischen alles gleichgültig. Ich verlor jegliches Zeitgefühl.
Dann schreckte ich eines Nachts aus einem Albtraum auf, in dem Lucy von Beschützern aufgespürt worden war, und sie sie zu foltern begonnen hatten. Sie wollten sie dazu zwingen, sie zu heilen. Ihre Schreie verweilten noch in der Luft, als ichplötzlich ganz deutlich Ashers Stimme hörte. Ich liebe dich, mo cridhe. Mit seinem Namen auf den Lippen wachte ich keuchend auf. Meine leise Stimme hallte in dem Raum wider. Asher war tot. Wieso ging mir das einfach nicht in den Kopf?
Ich versuchte, wieder einzuschlafen, aber diese Zuflucht war mir nicht vergönnt. In der Ferne tickte eine Uhr. Vermutlich hatte sich mein Großvater auch schon zurückgezogen. Als ich die Stille nicht mehr aushielt, stand ich auf und zog mich an.
Francs Männer bewachten das Haus, aber beim Mittagessen, zu dem ich mich einmal hinuntergeschleppt hatte, hatte ich mitbekommen, wie sie sich darüber unterhielten, wo sie am besten überall Wache schoben. Auch über Xavier und Mark hatten sie sich ausgelassen. Die beiden Beschützer waren abgetaucht, und Franc hatte seinen Männern befohlen, sie aufzuspüren.
Nun zog ich in der Küche einen Vorhangzipfel beiseite und machte zwei Häuser weiter in einem Truck die Silhouette eines Mannes aus. Nie und nimmer konnte ich mich unbemerkt aus dem Haus stehlen! Ich wollte schon aufgeben und in mein Zimmer zurückgehen, als mich ein Geräusch aufhorchen ließ. Ein Stück weit die Straße hinunter war eine Mülltonne umgefallen, und der
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