Die Schatten schlafen nur
richtete den Aktenstapel neben sich ordentlich aus.
»Sollen wir dann jetzt an die Vermisstenlisten gehen?«, fragte Cox.
»Moment!« Van Appeldorn schlug die Beine übereinander. »Du wolltest uns noch was beichten, Helmut.«
Toppe brachte es kurz und bündig hinter sich.
»Henry macht was?«, rief van Appeldorn. »Mein Gott, ich bin ja so einiges gewöhnt in dem Laden hier, aber eigentlich hatte sich das doch etwas normalisiert, seitdem Walter weg ist. Dachte ich jedenfalls bis gerade eben noch.«
»Das ist doch hoch interessant, Mensch!« Cox bekam blitzende Augen. »Da gibt es tolle neue Programme. Habe ich erst neulich was drüber gelesen.«
»Tja«, meinte Toppe entschuldigend. »Davon hält Henry nicht so viel. Er zieht die klassische Methode vor.«
Cox kaute eine Weile daran herum. »Wenn ihr meint«, sagte er schließlich resigniert. Er gewöhnte sich langsam daran, dass er der Einzige im Team zu sein schien, der einem Computer wirklich vertraute. »Wir fangen aber trotzdem zunächst mit den Vermisstenlisten an, oder? Wie gehen wir vor? Wenn der Mann seit acht bis zwölf Jahren tot ist, beginnen wir wohl 1987 und arbeiten uns langsam nach vorn. Zuerst Kreis Kleve, dann NRW, dann Bundesrepublik …«
»1987 auch noch die DDR«, warf Astrid ein. »Und vergiss Holland nicht.«
»Prima«, knurrte van Appeldorn. »Belgien vielleicht auch noch. Wo sollen wir denn aufhören? Was ist denn, wenn der Mensch aus, sagen wir mal, Südafrika kam, weil er sich in Nierswalde besondere Fachkenntnisse über die Orchideenzucht holen wollte? Ich liebe meinen Job!«
Von Bahlows Schwiegertochter ließ Toppe und Cox ins Haus.
»Ich wollte Vater sowieso gerade sein zweites Frühstück bringen. Kommen Sie doch gleich mit.«
Auf dem Tablett, das sie in den Händen hielt, standen ein Teller mit zwei Scheiben Rosinenstuten, dick mit Butter bestrichen, ein Becher Milchkaffee und ein Glas Schnaps.
Durch einen verglasten Gang führte sie die Beamten in ein kleines Nebengebäude. »Vater, du hast Besuch«, rief sie, noch bevor sie die Zimmertür öffnete. »Bitte sehr!« Sie ließ den beiden Polizisten den Vortritt. »Die Kriminalpolizei, Vater.«
Ein brauner Jagdhund kam bellend auf sie zugeschossen. Peter Cox sprang zurück, stolperte über seine eigenen Füße und konnte sich gerade noch an der Türklinke festhalten.
Ein scharfer Pfiff ertönte. »Freya! Platz!« Der Hund gehorchte sofort.
Von Bahlow saß in einem wuchtigen Sessel, neben sich einen runden Tisch mit einer dicken Brokatdecke. Das ganze Zimmer war altdeutsch eingerichtet. Ein großer eichener Schrank, in dem sich ledergebundene Bücher aneinander reihten, eine schwere, dunkelgrüne Polstergarnitur, über dem Sofa ein goldgerahmtes Ölgemälde: eine Bauernfamilie beim Essen, der Vater verteilte das Brot.
Toppe entdeckte ein Portrait von Bismarck neben der Pendeluhr und mehrere Jagdtrophäen: ein ausgestopfter Dachs, zwei Rehschädel und ein Hirschgeweih.
Es roch durchdringend nach Möbelpolitur.
Der alte Mann blickte ihnen argwöhnisch entgegen. Seine Augen waren von einem sehr hellen Blau, sein Gesicht kantig und streng. Am linken Nasenflügel hatte er eine braune, etwa kirschgroße Geschwulst. Er war groß und grobknochig und saß dort mit kerzengerade aufgerichtetem Rücken. Toppe sah die knotigen Hände auf den Sessellehnen. Gicht oder Rheuma, dachte er. Und er hat Schmerzen.
»Guten Morgen, Herr von Bahlow«, begann er, aber er war noch nicht an der Reihe.
»Antonia!« Der Ton war so messerscharf wie eben, als er dem Hund den Befehl erteilt hatte.
Die Schwiegertochter eilte zu ihm, breitete eine weiße Serviette über der Brokatdecke aus und stellte Teller, Becher und Schnapsglas auf den Tisch. »Geht es dir gut, Vater? Soll ich dir noch ein Kissen für den Rücken holen?«
Der Alte antwortete mit einem harten Abwehrlaut. »Lass uns allein!«
Er wartete, bis sie das Zimmer verlassen und die Tür geschlossen hatte.
»Was wollen Sie?«
»Dürfen wir Platz nehmen?«, fragte Cox und hatte sich schon auf dem Sofa niedergelassen.
»So lange wird es nicht dauern.«
»Ich fürchte, das entscheiden wir«, sagte Toppe so ruhig wie möglich und setzte sich von Bahlow gegenüber in einen Sessel. »Sind Sie verantwortlich für den Vandalismus auf der Baustelle?«
Peter Cox sah Toppe entgeistert an, von Bahlow lachte trocken auf. »Mir fehlt die Geduld für billige Scherze. Ich frage Sie noch einmal: Was wollen Sie?«
»Hat unsere Frage das nicht
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