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Die Schatten schlafen nur

Die Schatten schlafen nur

Titel: Die Schatten schlafen nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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die Berichte angucke, scheint er der Einzige zu sein.«
    Der Pastor war weichstimmig und beflissen wie immer. Er konnte Toppes Frage aus dem Stegreif nicht beantworten – schließlich war das, wie gesagt, alles vor seiner Zeit gewesen –, aber er nahm die beiden Kripoleute mit in den Raum hinter der Sakristei der Kirche, in der sich anscheinend das Dorfarchiv befand. Eine Ordnung unter den zahlreichen Büchern, Bänden und Aktendeckeln war auf den ersten Blick nicht auszumachen, aber der Pastor fand sich zurecht. »Hier habe ich zumindest schon einmal das Datum des Richtfestes: Quasimodogeniti 1989, der erste Sonntag nach Ostern. Wer allerdings am Bau beteiligt war, das ist nicht festgehalten. Wie ich die Menschen in unserem Dorf kenne, werden es viele gewesen sein. Wenn es der Aufklärung eines Mordes dient und ich Ihnen helfen kann, werde ich mich aber gern für Sie umhören.«

    Das Buch über die Reichswaldsiedlungen war vierzig Jahre alt und nicht besonders dick, aber wenn man zwischen den Zeilen der Vertriebenenschicksale zu lesen verstand und die ausführlichen Aufstellungen der Siedler im Anhang dazunahm, bekam man ein erstaunlich lebendiges Bild.
    Toppe las bis nach Mitternacht. Irgendwann fing er an, Listen zu machen und verschiedene Dinge zuzuordnen. Das Sortieren dauerte eine Weile und er musste ein paar Dinge im Lexikon nachschlagen, zum Beispiel wie viele Morgen ein Hektar hatte. Wenn man davon ausging, dass die Angaben der Vertriebenen über ihren Grundbesitz in der alten Heimat der Wahrheit entsprachen, hatten sich die meisten in der neuen Heimat nur wenig verschlechtert. Ein paar hatten im Osten gar keinen landwirtschaftlichen Besitz gehabt, sondern in anderen Berufen gearbeitet, in Nierswalde aber dann doch kleinere Gärtnereien aufgebaut. Im Großen und Ganzen hatten sich offenbar alle darum bemüht, in etwa derselben Größenordnung, die sie gewohnt waren, neu zu beginnen. Es gab nur einen Ausreißer: Waldemar von Bahlow. Nach eigenen Angaben war er Besitzer eines 380 ha großen Rittergutes mit entsprechender Landwirtschaft in Brandenburg gewesen. In Nierswalde hatte er sich nicht etwa um einen Bauernhof, sondern nur um eine Intensivstelle von zirka 3,8 ha beworben. Warum? Bescheidenheit passte überhaupt nicht zu dem Mann, den Toppe kennen gelernt hatte.
    Heute Morgen hatte von Bahlow stolz darauf hingewiesen, dass seine Familie die lukrativste Gärtnerei im Kreis hatte. Weil sie Orchideen züchtete? Aber das taten doch andere in Nierswalde auch. Wenn man dem Büchlein glauben konnte, hatten die meisten Orchideenund Anthuriengärtner 1950 mit deutlich mehr Grund und Boden angefangen. Verfügte von Bahlow einfach über einen gesünderen Geschäftssinn? Hatte er mehr Glück gehabt als die anderen, den besseren Boden, keine Schädlinge, keine schwachen Jahre, keine Missernten wie viele andere, von denen er hier las? Aber auch von Bahlows Söhne schienen im warmen Nest zu sitzen, eine Tankstelle, ein Hotel. Dafür brauchte man Startkapital. Schlüter hatte Astrid erzählt, das halbe Dorf gehöre von Bahlow. Wie hatte der so viel Geld machen können? Und warum hatte ausgerechnet dieser Mann sich mit einem so kleinen Betrieb zufrieden gegeben, nicht einmal mehr gefordert? Da passte so einiges nicht recht zusammen.

15
    »Zur Hölle noch mal! Guck dir das an, mir fallen alle Haare aus durch die ständige Färberei.«
    Sie lachte. »Quatsch, du kriegst bloß ’ne Glatze, wie die meisten Typen in deinem Alter. Rasier doch einfach alles ab.«
    »Soll ich rumlaufen wie einer aus dem KZ? Das könnt’ dir so passen. Ich habe die Schnauze sowieso gestrichen voll.«
    »Hör auf zu flennen«, kreischte sie. »Gestrichen voll sind bei dir die Hosen. Die Regression, die bei dir abläuft, ist total zum Kotzen!«
    »Bei mir?«, brüllte er zurück. »Du würdest doch nicht einmal mehr bamm machen, wenn du in der Scheiße steckst. Du fährst doch voll ab auf die bürgerliche Heia. Deine ganze Emanzipation besteht doch nur darin, dass du Männer klein machst.«
    »Männer? Welche Männer? Ich seh hier bloß einen winselnden Köter.«

16
    Peter Cox war der Einzige, der sich nicht beklagte. Mit stoischem Gleichmut kontrollierte er Vermisstenlisten, zog die Namen der Personen, die in Frage kamen, heraus, stellte diese zu neuen Listen zusammen und gab sie weiter.
    Astrid, Toppe und van Appeldorn telefonierten sich die Ohren heiß und wurden immer unleidlicher.
    Die Chefin schaute regelmäßig herein und bekundete ihr

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