Die Schatten schlafen nur
aber das scheint niemanden zu erstaunen. Der hätte schon lange davon gesprochen, aus Nierswalde wegzuziehen, hat mir eine Frau erzählt. Aber wann er nun verschwunden ist, weiß angeblich keiner so genau. Der Typ vom Hotel, dieser von Bahlow, redete reichlich herablassend. Er meinte, Opitz sei ein Säufer gewesen. Ich wäre immer noch nicht viel weiter, wenn ich nicht gestern angefangen hätte, in diesem Schuppen nach Hinweisen zu suchen. Da kam nämlich, betont unauffällig, eine Nachbarin vorbei, Adelheid Tessel, so um die sechzig und eine Nervensäge allererster Güte, boshaft und geschwätzig. Ich kann dir beim besten Willen nicht sagen, wie viel man dieser Dame glauben darf. Ihrer Aussage nach ist Jakob Opitz am Ostersonntag 1989 verschwunden. Er hätte schon monatelang davon gesprochen wegzugehen. Und das sei kein Wunder, seine Frau hätte ihn behandelt wie den letzten Dreck. Er war wohl Frührentner. Tja nun, ich glaube, das ist schon alles, was ich weiß. Ihr seid dran! Unter dem Foto heute Morgen stand ganz klein ›Rekonstruktion‹, ich hätt’s fast übersehen. Jetzt erzählt schon, wer hat diese Meisterleistung vollbracht? Arend?«
»Henry«, antwortete Toppe, wurde aber rüde unterbrochen, weil Charlotte Meinhard hereinkam.
»Was geht hier eigentlich vor?« Ihre Stimme war ungewöhnlich hoch. »Seit zwei Stunden belästigen mich die Presse und das Fernsehen, und zwar unter meiner Privatnummer. Was soll das bedeuten: ›Rekonstruktion‹?«
Toppe betrachtete sie und schüttelte leise den Kopf. »Wollen Sie sich nicht setzen?«
Aber die Meinhard hörte ihn gar nicht. »Wieso bin ich nicht informiert? Ich erlebe das als unerhörte Eigenmächtigkeit, Herr Toppe. So etwas trage ich nicht mit.«
»Sind Sie jetzt fertig?«, entgegnete Toppe beherrscht.
Peter Cox warf ihm einen wohlwollenden Blick zu.
»Wir sollten mal etwas Grundsätzliches klären, Frau Meinhard«, fuhr Toppe fort. »Die Mittel, die ich bei meiner Arbeit einsetze, bestimme immer noch ich. Sie haben meine Ergebnisse zu bewerten und mit denen können Sie bisher doch wohl mehr als zufrieden sein.«
»Ich fürchte, da täuschen Sie sich. Sie hätten mich auf jeden Fall in Kenntnis setzen müssen. Und jetzt würde ich gern wissen, was es mit dieser Rekonstruktion auf sich hat. Hat da jemand etwas mit der Leiche angestellt?«
Lowenstijn lachte leise und sie fuhr zu ihm herum. »Was wollen Sie überhaupt hier?«
»Nun«, Lowenstijn lehnte sich zurück und schlug langsam die Beine übereinander, »ich denke doch, ich helfe.«
»Helfen? Sie? Vielen Dank, Herr Lowenstijn, aber darauf verzichten wir gern. Ihre letzten beiden Hilfsaktionen sind mir in lebhafter Erinnerung.«
Wieder lachte Lowenstijn nur.
»Verzeihung«, meinte Toppe, »aber ich verzichte keineswegs auf Wims Unterstützung, im Gegenteil, ich schätze sie, damals wie heute. Und jetzt setzen Sie sich bitte, Frau Meinhard, damit dieses Theater ein Ende hat und wir Ihnen endlich Bericht erstatten können.«
Charlotte Meinhard zog sich tatsächlich einen Stuhl heran. »Bitte, ich höre.«
Fünf Minuten später verließ sie ohne irgendeinen Kommentar das Büro.
»Interessante Begegnung«, murmelte Cox.
Lowenstijn zog die Augenbrauen hoch. »Was ist denn mit der los? Wo ist denn die einfühlsame, sanfte, eiserne Lady geblieben?«
»Es ist schon das zweite Mal, dass sie durchtickt«, antwortete Toppe. »So langsam wird’s unheimlich.«
»Ein schlechtes Zeichen«, meinte Lowenstijn. »Vielleicht sollte sie sich lieber versetzen lassen …«
Er grinste Toppe an und der grinste zurück.
»Was ist denn mit der Chefin los?«, fragte auch Astrid, als sie hereinkam.
»Ganz die böse Tante«, meinte van Appeldorn. »Kommt mit rotem Ballon hier rausgestürmt und grüßt nicht mal.«
»Ich glaube, die hat uns gar nicht gesehen«, sagte Astrid und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. »Mir schwirrt der Kopf. Diese Tessel, das ist vielleicht eine Hexe!«
Aber da kam die Meinhard noch einmal herein. »Wer trägt eigentlich die Kosten für diesen Rekonstruktionszirkus?«
»Ich«, sagte Lowenstijn, bevor Toppe etwas erklären konnte. »Ich werde Henry mein Gerichtshonorar überlassen. Schließlich hat er für die Identifizierung gesorgt.« Er drehte sich zu Toppe um. »Findest du nicht, wir sollten ihn gleich anrufen? Der muss doch wohl als Erster erfahren, wie großartig er gearbeitet hat.«
»Du hast Recht. Aber Wim, du musst wirklich nicht auf dein Honorar verzichten. Henry
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