Die Schatten schlafen nur
gegangen. Katharina zahnte immer noch und letzte Nacht hatte Astrid kaum ein Auge zugemacht. Warum hatte sie ihn eigentlich nicht geweckt?
Er schwitzte und sein Herz legte mal wieder ein paar Extraschläge ein. Wütend klappte er die Decke zurück. Es hatte keinen Sinn, weiter Schäfchen zu zählen. Morgen war Sonntag, da würde er den Schlaf schon irgendwann nachholen können.
Er setzte sich in den Sessel, schaltete die Stehlampe ein: und schlug den Kulturteil der Wochenzeitung auf, aber er konnte sich nicht konzentrieren.
Gestern Abend hatte er sich von der Zentrale die Namen und Adressen aller Anrufer geben lassen, die sich im Laufe des Tages auf den Zeitungsbericht hin gemeldet hatten.
Aus Nierswalde hatte, bis auf Adelheid Tessel, keiner angerufen. Warum nicht? Opitz hatte achtunddreißig Jahre im Dorf gelebt, als Prediger und als Leiter des Jugendheims war er sogar ein besonderes Gemeindemitglied gewesen. Seltsam – das ganze Dorf kam Toppe seltsam vor. Aber was wusste er schon von Vertriebenen und neuen Heimaten? Wald – Scholle – Heimat, Asyl?
Der alte von Bahlow, was genau verteidigte der eigentlich so vehement?
Und noch einmal: Wie hatte er nur mit seiner Gärtnerei so viel Geld gemacht, dass er Grundstücke und Häuser hatte kaufen können, ein Restaurant und ein Hotel eröffnen?
Auch Norbert van Appeldorn schlief nicht viel in dieser Macht, aber das hatte romantischere Gründe.
Wohlig erschöpft lag er auf dem Bett, hielt Ulli im Arm und streichelte träge ihren nackten Rücken. »Lass uns heiraten.«
Sie lachte. »So was nennt man Bigamie. Das sollten Sie eigentlich wissen, Herr Kommissar.«
»Ich meine es ernst. Lass uns heiraten, wenn meine Scheidung durch ist. Am liebsten sofort am nächsten Tag.«
Sie befreite sich aus der Umarmung und stützte sich auf den Ellbogen. »Aber warum denn?«
»Weil ich dich liebe und weil ich nicht mehr ohne dich sein will.«
»Aber dazu müssen wir doch nicht heiraten. Du wirst mich auch so nicht los.«
Er setzte sich auf. »Hast du Angst?«
Sie starrte an die Decke. »Ich weiß nicht. Vielleicht … ich glaub schon. Wenn etwas zu gut läuft für mich, dann wird mir immer mulmig.«
Van Appeldorn sagte nichts. Wenn man Ullis Geschichte kannte, war das nicht weiter verwunderlich.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wirklich zu jemandem zu gehören, ein richtiges Zuhause zu haben«, überlegte sie weiter.
»Wolltest du denn nie heiraten?«
»Als ich noch klein war schon, klar, wie jedes Mädchen.« Er konnte hören, dass sie lächelte. »Ich wollte ein weißes Prinzessinnenkleid mit zehn Meter langer Schleppe und rote Rosen als Brautstrauß und lauter süße Blumenkinder, eine Kutsche natürlich und einen blond gelockten Prinzen, der vor mir auf die Knie fällt.«
»Da liegt also der Hase im Pfeffer«, knurrte van Appeldorn. »Ich habe die falsche Haarfarbe.«
Ulli biss ihm sanft in die Schulter. »Und außerdem hast du weder ein Schloss noch ein Königreich, nicht mal ein halbes. Aber ich glaube, deine anderen Qualitäten wiegen diese kleinen Schönheitsfehler auf.«
»Also, ja?«
»Was?«
»Märchenhochzeit mit Kutsche und Kirche und Schleppe und Rosen und dem ganzen Klimbim.«
»Van Appeldorn, du spinnst!«
»Ich weiß, aber es fühlt sich gut an.«
18
Genau zweihundertvierundachtzig Stunden hielt der Frieden in Nierswalde, dann kam es zu einer neuen Protestkundgebung.
Der Wachmann, den Schlüter eingestellt hatte, war am Samstagabend pünktlich um acht Uhr im Bauwagen gewesen und wie immer bisher war alles ruhig geblieben. Gegen Mitternacht dann hatte er draußen Stimmen gehört und war zum Fenster gegangen. Alles, was er dort gesehen hatte, war ein großer Quast gewesen, der die Scheibe mit einer Kalklösung bestrichen hatte. Gleichzeitig hatte sich der Bauwagen in Bewegung gesetzt und der Wachmann war gestürzt. Als er wieder auf die Beine gekommen und zur Tür gelaufen war, hatte diese sich nicht mehr öffnen lassen. Alles Rufen und Klopfen danach war erfolglos geblieben.
Der Pfarrer war es dann, der auf seinem Weg zum Gottesdienst am nächsten Morgen gegen zehn den Wagen entdeckte, den jemand mit der Tür direkt gegen die Kirchenwand geschoben hatte. Er rief die männlichen Gemeindemitglieder zusammen und mit vereinten Kräften bewegte man den Wagen ein Stück zurück und befreit den Wachmann, der völlig erschöpft herausgekrabbelt kam und in Gesichter blickte, auf denen Schadenfreude und Mitleid miteinander
Weitere Kostenlose Bücher