Die Schatten schlafen nur
Düsseldorfer Uni angemeldet. Es war ihm damals nicht bewusst gewesen, dass die Leichen, die an Universitäten seziert wurden, nicht immer taufrisch waren, und so hatten sie zum ersten Mal die Klingen gekreuzt, das Formalin und er. Er hatte den Kürzeren gezogen und war umgekippt. Zwei spätere Auseinandersetzungen waren nicht besser verlaufen. Jetzt versuchte er, möglichst kurz nur durch den Mund zu atmen, aber da waren sie schon wieder, die kleinen explodierenden Sonnen in den Augenwinkeln.
Astrid kam zurück. »Was ist mit dir?«
Er musste würgen. »Zu viel Kaffee und zu wenig gegessen.«
»Ja, natürlich, das wird es sein.« Sie schüttelte den Kopf.
»Dir ist doch klar, dass das eine ganz schlichte hysterische Reaktion ist.«
»Danke für die Blumen! Geh ruhig. Ich komme zurecht. Mir geht’s gut.«
»Das seh ich. Helmut, Mensch, als ich bei Katharinas Geburt kurz vor den Presswehen durchgedreht bin und nach Hause gehen wollte, hast du mich da für eine Memme gehalten?«
»Natürlich nicht! Aber das ist doch was ganz anderes.«
»Überhaupt nicht. Jetzt setz dich hin und atme normal. Es riecht seltsam, okay. Kein Mensch findet den Geruch angenehm, aber er tut einem nichts. Find dich einfach damit ab und lass dich drauf ein. Es ist auszuhalten. Schlimm ist es nur, wenn du dich wehrst.«
»Lass mich einfach in Ruhe, ja?«
Sie seufzte. »Männer! Aber bitte, dann leide halt.«
Jetzt war ihm nicht nur schlecht, er kam sich auch noch blöde vor. Na gut, würde er eben mal wieder umkippen.
Er betrat eine Filmkulisse. Dunkel war es, nur die gnadenlose OP-Lampe über dem Tisch brannte. Im Zentrum des Lichtkegels ein aufgespießter Kopf, der so lebendig wirkte, dass es einen schauderte. Gabi, die konzentriert mit einer langen Nadel und einer Pinzette einzelne Haare auf dem Schädel einpflanzte, hauchfein, dicht an dicht. Sie trug eine Lupenbrille. Henry hinter ihr vibrierte vor Anspannung.
»Das ist fantastisch«, raunte Cox.
Toppe kam langsam näher. Das war also ihr Toter. Die Augenhöhlen waren noch leer, aber man konnte trotzdem einen Menschen erkennen, jemanden, der verbittert war, überdrüssig, einsam vielleicht und ein bisschen … ja was? Entgleist? Verwahrlost?
Henry wandte sich Toppe zu. »Eigentlich haben wir nur noch zwei Probleme: die Tönung der Haut und die Augenfarbe.« Toppe nahm den Leichnam auf dem Nebentisch, von dem der Gestank ausging, nicht mehr wahr. »Das ist wirklich großartig, Henry, einfach unglaublich. Probleme? Das sind keine Probleme. Wir werden doch sowieso nur Schwarzweißfotos machen.«
»Natürlich sind die Augen ein Problem! Auch auf einem Schwarzweißfoto macht es einen großen Unterschied, ob jemand helle oder dunkle Augen hat. Obwohl ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass er eher hellere Augen hat. Von der Schädelform her ist er beinahe rein nordisch.«
»Wenn ich die Fotos habe, kann ich sie am PC entsprechend bearbeiten«, meinte Cox. »Dann drucken wir mehrere Varianten ab.«
Gabi legte ihr Werkzeug aus der Hand und nahm die Brille ab. »Ich brauch eine kleine Pause. Meine Hände fangen an zu zittern.«
»Ruh dich aus, Schatz. Ich mache weiter.« Henry küsste ihren Nacken und stellte die Lampe neu ein.
»Augenblick«, rief Astrid. »Wartet doch mal. Ihr seid doch so gut wie fertig. Eigentlich könnten wir unsere Fotos doch jetzt schon machen. Ihr müsstet ihm nur noch irgendwelche Augen einsetzen.«
›»So gut wie‹ ist nicht gut genug.« Henry legte das Haar, das er schon mit der Pinzette aufgenommen hatte, wieder zurück. »Und, das kannst du nicht wissen, Astrid, Augen setzt man auch nicht so einfach ein. Ich will es perfekt haben. Und deshalb fliege ich am Freitag mit Fattys Zwilling und meinen Messungen nach Wien.«
Er kam allen Fragen zuvor. »Ich stehe die ganze Zeit in Kontakt mit Professor Abwerzger, der am Freitag hier bei der Sektion dabei war. Bevor ich ein endgültiges Ergebnis abliefere, mach ich die Geschichte wasserdicht, Freunde.«
»Du fliegst nach Wien?«, fragte Toppe gedehnt.
»Auf Kosten des Wiener Instituts. Die sind ganz wild darauf, Helmut. Sie haben heute das Ticket geschickt.«
»Aber es schadet doch nichts, wenn wir ihn jetzt schon fotografieren.« Astrid gab nicht auf. »Wenn dein Professor das Ergebnis absegnet, rufst du uns an und wir geben die Bilder an die Presse. Und wenn nicht, dann lassen wir es eben.«
»Na gut.« Henry gab sich geschlagen. »Aber morgen erst, wenn wir mit dem Haar und den Augen fertig |
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