Die Schatten schlafen nur
…«
»Stopp, stopp, stopp!«, rief die Chefin. »Ersparen Sie mir Einzelheiten. Wie Sie die Angelegenheit regeln, Herr Toppe, ist mir gleich. Hauptsache, Sie übernehmen die Verantwortung.« Damit war sie wieder verschwunden.
Einen Augenblick blieb es still, dann meldete sich van Appeldorn: »Sag mal, Helmut, es ist nicht zufällig so, dass du die werte Dame ein bisschen eingestielt hast?«
»Kaum.«
»Von wegen!« Peter Cox kicherte. »Ich kann euch sagen!«
»Da bin ich aber beruhigt.« Van Appeldorn freute sich wirklich. »Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr raus aus deinem schwarzen Loch.«
»Unverhofft kommt oft, würde Ackermann sagen«, meinte Toppe und berichtete dann von Lowenstijns Ergebnissen.
Schließlich schlug Astrid ihren Notizblock auf. »Das deckt sich eigentlich alles mit dem, was diese Bissgurn gesagt hat.«
»Diese was?«, wunderte sich Cox.
»Das zänkische alte Weib. Ich versuche mal, die Fakten zusammenzubringen. Opitz ist 1951 mit seinen Eltern nach Nierswalde gekommen.«
»Mit seinen Eltern?«, rief Toppe. »Das kann nicht sein. In seinem Stammbuch steht, dass er Vollwaise war.«
»Genau so hat sie es aber gesagt«, beharrte Astrid. »1951, im selben Jahr wie die Tessel. Die war übrigens die Tochter des Kohlenhändlers, der dort angesiedelt wurde. Sie hat nie geheiratet, und wenn mich nicht alles täuscht, war sie selbst hinter Opitz her. Aber das nur am Rande. Opitz hat das Gymnasium besucht und ist dann zum Studium nach Bonn gegangen: Theologie und Pädagogik. Nach seinem Examen ist er ins Dorf zurückgekehrt und hat ein Jugendheim eröffnet. Er wäre immer unglaublich gut mit den Jugendlichen zurechtgekommen. 1960 hat Opitz geheiratet, Helene Domröse, laut Tessel eine gute Partie, aber kalt wie eine Hundeschnauze und obendrein ein Flittchen, wie es im Buche steht. Das war jetzt Originalton. Dann kam nicht mehr viel, oder?«
»Nein«, bestätigte van Appeldorn. »Sie hat über alle möglichen Leute im Dorf hergezogen und irgendwann angefangen zu heulen. Zwischen den Zeilen konnte man raushören, dass Opitz sich wohl im Dorf unbeliebt gemacht hatte. Sie stammelte dauernd was von Kesseltreiben. Wenn die sich wieder beruhigt hat, müssen wir sie uns auf jeden Fall wieder vornehmen, aber ich würde mich nicht beklagen, wenn das ein anderer übernimmt.«
Ackermann fiel von der Leiter.
Da lag er, strampelte mit den Beinen wie ein gestrandeter Maikäfer und rang nach Luft. Schließlich gelang es ihm hochzukommen, sich den nassen Gips aus den Augen zu wischen und das Bild auf dem Fernseher deutlich zu erkennen. Es war tatsächlich die Meinhard! Und was die da von sich gab, das war doch wohl nicht wahr! Ackermann rannte in den Flur und schnappte sich die Autoschlüssel. So nicht, Madame! Nicht, so lange Jupp Ackermann noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war!
Peter Cox sperrte Mund und Augen auf, als Ackermann aufgeregt ins Büro gehüpft kam. Er trug eine alte braune Cordhose voller Farbflecken, ein Netzunterhemd, eine verfilzte gelbe Pudelmütze und rosa Badeschuhe, die mit roten Plastikblumen besetzt waren. Im flusigen Bart baumelten Gipsklümpchen, die dicke Brille war mit einem weißlichen Film und kleinen Sprenkeln überzogen. Astrid und Toppe nahmen den Aufzug gelassen hin, sie hatten Ackermann schon abenteuerlicher erlebt, nur van Appeldorn konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen: »Na, Jupp, mal wieder die Ausgehuniform aus dem Schrank geholt?«
Aber Ackermann ließ sich nicht verunsichern. »Meine Manchesterbux? Die kennste doch schon. Wat ich sagen wollt: Ich weiß, dat ich stör, aber jetz’ geht et echt nich’ mehr anders.«
»Ist dir nicht kalt?«, fragte Astrid.
»Jetz’, wo du et sachst«, antwortete er und rieb sich die nackten Arme. »Macht nix, wat einen nich’ umbringt, macht einen bloß härter, sach ich immer. Obwohl, ’ne Grippe kam mir im Moment au’ nich’ so zupass. Aber jetz’ hört doch ma’. Die ganze letzte Woche hab ich mir gesacht, Ackermann, diesma’ hälts’ du dich geschlossen. Müsst er doch zugeben, oder? Diesma’ hab ich mich in eure Klamotten nich’ eingemischt. Wat nich’ leicht war, könnt er mir glauben. Wo ich doch alles mitgekriegt hab ausse Zeitung un’ vonne Kollegen sowieso. Aber wat da jetz’ abgeht, da kann ich meine Klappe wirklich nich’ mehr halten. Ich mein, normalerweise bin ich ja ’n Schloof, dat weiß jeder. Ich sach immer: Leben un’ leben lassen.«
»Was ist ein Schloof?«
Weitere Kostenlose Bücher