Die Schatten schlafen nur
ganzen Tag auf Trab, trotzdem ist sie nie überdreht. Er hat auch eine Frau aufgetan, die dreimal in der Woche zum Putzen und Bügeln kommen will, aber das müssen wir noch mit Gabi abstimmen.«
»Heißt das, wir kriegen tatsächlich mal freie Wochenenden?«
Toppe schnitt vier große Stücke vom duftenden Zwiebelkuchen ab und legte sie auf ihre Teller. Seine Lebensgeister reckten die Köpfe und fingen an, lustig herumzukribbeln.
Astrid öffnete die Weinflasche. »Und Ackermann hat angerufen.«
Toppes Lebensgeister stolperten übereinander.
»Keine Panik, war privat.« Astrid lächelte und goss den Wein in die Gläser. »Er hat nur gebrüllt: Mach die Kiste an! Mach die Kiste an! Henry ist auf West 3!«
»Und?«
»Ich hab eingeschaltet, aber nur noch die letzten Sätze und den Abspann mitgekriegt. Also habe ich Ackermann wieder angerufen. Nach der Wissenschaftsshow werden Henry und Gabi jetzt anscheinend durch alle Magazine gereicht.«
»Gabi?«
»Gabi auch, ja. Und sie haben wohl ein Angebot von einer Filmgesellschaft in Hollywood.«
»Was?«
»Das war jetzt nur Ackermann, bitte. Gabi ist noch nicht zu Hause. Wer weiß, was der sich da zusammengeschustert hat. Und bevor du fragst, er wühlt immer noch im Archiv rum, aber fündig geworden ist er noch nicht.«
»Gut.« Und das meinte Toppe wirklich so. Er schloss genüsslich die Augen und biss in sein warmes Kuchenstück. »Absolut köstlich! Dann sind wir beide also morgen ganz allein. Peter unterwegs in der kalten Heimat, Norbert zieht um und Ackermann ist unter staubigen Papierbergen begraben … Nur du und ich. Wann hatten wir das zum letzten Mal?«
29
Ihr Arbeitstag zu zweit begann mit einem Paukenschlag. Peter Cox hatte kurz nach Mitternacht eine Nachricht aus Prenzlau geschickt:
Waldemar von Bahlow liegt hier tot und begraben auf dem Friedhof; laut Grabstein gestorben im Juni 1944. Habe noch mit keinem Zeitzeugen gesprochen, aber einen guten Hinweis. Mache mich gleich morgen früh auf den Weg. Hotel geringfügig besser, froh, dass Heizdecke mitgenommen. P. C.
»Dann müssen wir wohl oder übel Herrn Waldemar von Bahlow in Nierswalde noch einmal unsere Aufwartung machen«, sagte Astrid und fing an, ihr Haar zu flechten. Das tat sie immer, wenn ein Termin anstand, bei dem sie distanziert und besonders professionell wirken wollte. Bevor sie den Zopf fertig hatte, kam die nächste E-Mail:
Ia Zeitzeugin gefunden: ehemalige Köchin auf Rittergut Bahlow (heute 74 Jahre alt). Waldemar ist definitiv tot!!! Ausführliche Mail folgt in wenigen Stunden (inkl. aller Gesprächsprotokolle aus Koszalin) P.C.
Sie warteten vor von Bahlows Tür, sein Arzt war gerade bei ihm. Die Schwiegertochter lief geschäftig hin und her und traktierte sie zwischendurch mit bösen Blicken.
Schließlich kam der Arzt heraus. Er war jung und reichlich gelackt. »Ich höre, Sie sind von der Kripo? Wenn Sie unbedingt mit Herrn von Bahlow sprechen müssen, bitte. Aber ich habe ihm gerade eine Spritze gegeben. Er wird schläfrig sein.«
Von Bahlows Körper mochte angeschlagen sein, aber sein Geist funktionierte offensichtlich noch sehr gut. Er sah ihnen hochmütig entgegen. »Was kann ich heute für Sie tun, meine Herren? Oh, Verzeihung, meine Dame!«
Toppe hielt sich nicht mit Floskeln auf. »Waldemar von Bahlow ist tot. Er ist im Juni 1944 in Prenzlau begraben worden.«
Die Schwiegertochter gab einen fassungslosen Laut von sich und von Bahlow machte einen vergeblichen Versuch, sich aufzusetzen. »Wer?«
»Sie haben mich schon verstanden, Waldemar von Bahlow, Sie sind tot.«
»O Herr!« Der alte Mann legte den Kopf in den Nacken und lachte lautlos mit offenem Mund. »Ich bin hier! Ich lebe! Noch lebe ich! Was also wollen Sie von mir?« Seine Sprache verwusch sich langsam.
Astrid ging neben dem Kopfende des Bettes in die Hocke. »Wie kann Waldemar von Bahlow in Prenzlau begraben sein, wenn Sie hier liegen? Wie kann das sein? Erklären Sie uns das. Sagen Sie uns, wer Sie wirklich sind.«
Er drehte ihr das Gesicht zu. »Absurd«, nuschelte er. »Beweisen Sie mir diesen skandalösen Unsinn.« Das Sprechen machte ihm inzwischen Mühe und seine Schwiegertochter hielt es nicht mehr aus. »Lassen Sie ihn endlich zufrieden! Ein Grab in Brandenburg! Großer Gott, Sie müssten doch selbst wissen, wie das damals war. Wer weiß, wer da alles unter welchem Namen begraben worden ist? Es ging doch alles drunter und drüber. Ein Menschenleben zählte doch nichts damals, gar nichts.
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